Von Bern ist es nicht weit zum Werk des Schweizer Künstlers Franz Gertsch, einem der herausragenden Vertreter des europäischen Fotorealismus. Ein zuverlässiger Ort, seinem Oeuvre näher zu kommen, ist das Museum Franz Gertsch in Burgdorf – nur 15 Minuten von Bern auf dem Schienenweg entfernt. Ein Ort, eigens geschaffen für den – im Dezember 2022 mit 92 Jahren verstorbenen – Künstler und seine großflächigen Werke. Ein Besuch vor Ort im Gespräch mit Museumsdirektor Arno Stein anläßlich der Ausstellung „Kaleidoskop“.
Großformat: Das Markenzeichen von Franz Gertsch
Großformatige Bilder sind das Markenzeichen von Franz Gertsch. „Seit 1969 hat er groß gemalt“, bestätigt der Direktor des Museum Franz Gertsch in Burgdorf, Arno Stein. Stellt sich die Frage: Wohin mit der Kunst eines Meisters, der mit seiner Leidenschaft für die Malerei über all die Jahrzehnte seine Vorliebe für überdimensionierte Bilduntergründe behalten hat.
Groß meint hier richtig groß. Drei mal fünf Meter messen die vier Bilder des Jahreszeiten-Zyklus, die die Sonderausstellung „Kaleidoskop“ zum 20jährigen Jubiläum des Museums mit Gemälden und Holzschnitten von Franz Gertsch aus den letzten zwanzig Jahren präsentiert. Frühling, Sommer, Herbst und Winter füllen einen Raum im Burgdorfer Museum Franz Gertsch – einen Raum, der eigens für die „Vier Jahreszeiten“ gebaut wurde.
Ein eigenes Museum in Burgdorf bei Bern
Eine Begegnung von Franz Gertsch mit dem Industriellen Willy Michel setzte Maßstäbe. Sonst wären Großformate wie etwa die drei Portraits von „Silvia“, einem Bauernmädchen aus dem Umfeld des Ehepaars Gertsch, von Arno Stein gern als „Künstlerpaar“ bezeichnet, womöglich unausstellbar geblieben.
Doch Michel wurde zum Mäzen. Und zum Bauherren: In Burgdorf mit seiner wunderschönen Altstadt, wo Michel nahe Bern aufwuchs, setzte er sich für einen adäquaten Museumsbau für Franz Gertsch ein. Es entstand eines jener wenigen Museen, das europaweit einem einzelnen lebenden Künstler gewidmet wurde. Dem Maler ersparte die auf sein Werk zugeschnittene Raumschöpfung samt wertschätzendem Verbleib seines ausladenden Oeuvres eine Schaffenskrise. Denn wenn er im Vorfeld nicht wusste, wo er ein Bild ausstellen konnte, war er blockiert, weiß Arno Stein zu berichten. Er kannte den Künstler seit 1998.
Motive aus dem Wald – großartig in Szene gesetzt
Ebenfalls nicht weit ist es von Burgdorf nach Rüschegg, zum Wohnort des Künstlers Franz Gertsch (1930-2022). Mit seiner Frau Maria, von der Arno Stein sagt, sie sei die größte Kritikerin des Künstlers, lebte Gertsch mitten im Naturpark Gantrisch auf einem alten Bauernhof. Hier übte jene Silvia, wenn sie dem Maler nicht gerade Modell saß, in einem Tai Chi-Kurs bei Maria die fließenden Bewegungsabläufe der fernöstlichen Kampfkunst. Hier aus dem Wald holte Franz Gertsch, orientiert an seinem täglichen Meditationsweg, Motive für das Jahreszeiten-Oeuvre. Und hielt in unzähligen Momenten mit seiner Kamera Details der umgebenden Natur fest. Bei Sonne und Frost, Wind und Regen. Stets auf der Suche nach dem richtigen Licht.
Aus der Flut Hunderter von Fotografien extrahierte und reduzierte er, bis eines seiner Meisterwerke Zentimeter für Zentimeter gemalt und auf die Leinwand gebannt war und zum Eintauchen in Form und Farbe freigegeben werden konnte. Nur aus der Distanz kann es den Merkmalen des Fotorealismus entsprechen. Aus der Nähe betrachtet verästelt es sich zu einem abstrakten Gemälde. Kein Wunder, dass der Prozess in seiner Vollendung manchmal bis zu einem Jahr dauerte. „Zu sehen, wie der Künstler bis ins hohe Alter seine Schaffenskraft erhielt, war tief faszinierend“, hält Arno Stein bewundernd fest.
Ein Künstler mit Talent für einschneidende Begegnungen
Auch die Begegnung von Franz Gertsch mit Arno Stein hatte weitreichende Folgen: Für beide, für den Künstler wie für den Botschafter und Förderer seiner Kunst. Das übergeordnete Ziel des Juristen mit tiefer Zuneigung zur Kunst: Wo immer es um das persönliche und öffentliche Wirken und den guten Namen des Schweizer Künstlers Franz Gertsch ging, er hielt die Fäden in der Hand – wie beim Neu- und Ausbau des Burgdorfer Museums.
So ist es das Verdienst von Arno Stein, Franz Gertsch in Frankreich und Deutschland bekannter gemacht zu haben, der bereits 1972 auf der documenta 5 seinen internationalen Durchbruch hatte. 2013/14 zeigte das Frieder Burda-Museum in Baden-Baden die monumentale Kunst des Schweizers. Eine Ausstellung in Toulouse folgte. Seitdem stehen mehr kunstinteressierte Franzosen vor Gertschs Gemälden in Burgdorf, freut sich Stein.
Gräser, Pestwurz, Waldweg – die Kunst der Reduktion auf das Wesentliche
In Burgdorf wartet die Kunst von Franz Gertsch darauf, ihr Spektrum weiter auszufächern, hat sie doch mitten im idyllischen Emmental ein dauerhaftes, vollkommen auf sie abgestimmtes Zuhause gefunden. Es lohnt sehr, nach Burgdorf zu fahren. Für alle, die wie ich besondere Freude an überwältigend großen Exponaten haben – und die Kunst der Reduktion auf das Wesentliche schätzen. Franz Gertsch lebte sie in ausgesuchten Motiven variantenreich aus. Auch in der Technik des Holzschnitts, für den er, acht Jahre lang von 1986 bis 1994, die Malerei an den Nagel hängte.
Die Motive Gräser, Pestwurz, Waldweg und Jahreszeiten, das Thema „Meer“, Portraits, von Frauen wie Irene, Tabea, Verena, Christina, Johanna und natürlich Silvia durchziehen sein künstlerisches Schaffen, das er auch im hohen Alter beständig fortsetzte: mit Maria, seit 1963 waren sie verheiratet, an seiner Seite.
Angebote im Museum Franz Gertsch
Was es gerade im Museum Franz Gertsch zu sehen gibt: Aktuelle Ausstellungen und Ausblick.
Von der Kuratorinnenführung über poetische Führungen bis zur Architekturführung, das Begleitprogramm zur jeweiligen Franz Gertsch-Ausstellung ist abwechslungsreich.
Das Museum Franz Gertsch ist ein TIM-Museum. „TiM“ – Tandem im Museum“ ist eine Initiative, die dazu anregt, mit Menschen einen Museumsbesuch zu machen, die man „vorher gar nicht oder kaum gekannt“ hat. „Fragen Sie Ihre Nachbarin, Ihren Coiffeur, eine Bewohnerin aus dem Altersheim … Die Begegnung mit TiM wird Sie einander näherbringen.“
Unbedingt mit einplanen: einen Besuch im Artcafé. Hier gibt es einen sehr guten Mittagstisch für knapp 20,- CHF.
Burgdorf: Hinkommen – Unterkommen – Was noch?
Vom Berner Hauptbahnhof fahren stündlich mehrere Züge nach Markdorf. Fahrzeit: ca. 15 Minuten. Fahrpreis: ca. 6,- CHF pro Fahrt.
In Burgdorf ist es möglich, im Schloss zu Schweizer Jugendherbergs-Preisen unterzukommen, direkt im Museumstrakt.
Was noch?
Burgdorf, wie Bern eine Zähringerstadt mit einer schönen und intakten mittelalterlichen Altstadt, wird auch das Tor zum Emmental genannt. Neben einem Besuch im Museum Franz Gertsch empfiehlt es sich, im Alten Schlachthaus vorbeizuschauen, wo der anerkannte Eisenplastiker Bernhard Luginbühl, sein Museum eingerichtet hat. Burgdorf eignet sich als Ausgangspunkt oder Zwischenstopp für Wanderungen und Radtouren, etwa auf der Herzroute. In zwei Etappen geht es mit dem Velo zum Beispiel nach Thun, zum Tor des Berner Oberlands.
Eine Attraktion sind die Burgdorfer Krimitage, jeweils Ende Oktober eines Jahres.
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Dieser Artikel ist im Rahmen einer individuellen Medienreise mit Unterstützung von Bern Welcome entstanden.
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