Nichts wie weg, relaxen, abtauchen! Doch wohin? Der Bildband „Wellness mit Flair“ vom Kunth Verlag verlockt mit mehr als 60 Antworten in alle Teile Europas. Vielversprechende Kombinationen von Kur, Kultur und Natur zeigen: Wer wohlig entspannt und besondere Momente mit Kunst und Architektur in schönen Städten oder in verwunschenen Landschaften auskostet, erholt sich prächtig. Eine Buchbesprechung, die zum Schwelgen einlädt.

Wellness verlockt nach Nord-, West-, Süd- und Südosteuropa
Von der Badelust der Römer, die das nasse Vergnügen bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. zu einer Kultur entwickelten, zehren wir, bis heute. Es braucht nicht viel: warmes Wasser, eine Ruhe spendende Umgebung und die Bereitschaft, sich einzulassen. Wer nach dem passenden Ort zum Kuren, Baden und Entspannen sucht, steht vor einem unübersichtlichen Angebot. „Wellness mit Flair“ trifft eine Vorauswahl und bereitet die europäische Badewelt für eine persönliche Auswahl auf.
Das Herzstück des Bands bilden klassische Ziele in Zentraleuropa – von Ostsee-Bädern über das Westböhmische Bäderdreieck (Karlsbad, Marienbad, Franzensbad) bis zu ausgewählten Moor- und Kneipp-Bädern (Moor: Baden bei Wien, Bad Ischl u. a.; Kneipp: Bad Reichenhall u.a.). Drumherum sortieren Kapitel – eingeteilt in Nord-, West-, Süd- und Südosteuropa – besondere Orte, deren Luft und Wasser Wohlbefinden und Heilkraft versprechen.
Heiße Quellen, Wandern und Klettern in Nordgriechenland
Wer genau liest, erhält wertvolle Anregungen. Die Ortsbeschreibungen sind so knapp in den Begleittexten gehalten, dass reizvolle Verbindungen zu Aktivtouren und Kulturentdeckungen nicht verloren gehen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem nordgriechischen Pozar? In seiner ursprünglichen Umgebung können sich Wander- und Kletterfreunde austoben. Zwischendurch darüber sinnieren, dass hier Alexander der Große geboren wurde. Und dann, nächstes Highlight: sich in einer großen Naturschlucht aus vulkanischem Boden in die heißen Quellen werfen. Loutra Pozor heißt der moderne Kurort heute. Er ist – wie etwa Wiesbaden (s. azurgold-Beitrag „Wiesbaden: Viel Wasser, viel Kunst“) – Teil der Europäischen Route historischer Thermalstädte.
Baden im stilvollen Ambiente
Oder: Warum nicht die Stadterkundung Istanbuls mit einer Hamam-Tour verbinden?Auch schön lässt es sich ins spanische Caldes de Malavella reisen. Laut diesem Kurortfinder „ein Ort der Entschleunigung mit antiken und modernen Thermen sowie einem Schatz architektonischer Denkmäler“. Caldes de Malavella ist über Girona zu erreichen. Von Barcelona kommend, voller Eindrücke vom Modernismo, dem eleganten spanischen Jugendstil, lassen sich diese bestens in Caldes vertiefen.
Ein Paradebeispiel liefert Zürich. Malerisch an der aus dem Zürichsee strömenden Limmat gelegen, winkt die heimliche Hauptstadt der Schweiz mit reichlich Kunst und Kultur und „prächtigen Möglichkeiten, sich in stilvollem Ambiente dem eigenen Wohlbefinden zu widmen“. Eine Beschreibung, die auf viele der vorgestellten Orte zutrifft. Das ist viel mehr als das Motto „Wellness mit Flair“ ahnen lässt.

Kurort- und Kunstperlen in Italien
In der ersten Liga von Kurort- und Kunstperlen spielt das Sehnsuchtsziel Italien. Zwischen Badekultur und Thermalquellen – die größten und prächtigsten der italienischen Thermen entstanden während der Blütezeit Roms – gibt es traumhafte Architektur und Gärten zu bestaunen. Die meisten heißen Quellen des Landes fließen in der Toskana. Etwa in Montecatini Terme – beschaulich, erfahre ich – zugleich größter Kurort und eines der Jugendstilzentren Norditaliens; liegt auf halber Strecke zwischen Florenz und Viareggio. Auch fein!
Nicht fehlen darf: Ischia, Italiens berühmtes Thermalparadies. Bilderbuchitalien, wie etwa die Orchideengrotte im Botanischen Garten „La Mortella“ auf einer doppelseitigen Fotografie vorführt. Von hier ist Forio nicht fern. Seine Thermalquellen und Gäste aus aller Welt haben das pittoreske einstige Fischerdorf reich gemacht. Geistesgrößen wie Truman Capote, Pablo Neruda oder Pier Paolo Pasolini schauten nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig vorbei. Die in den Hang gebauten „Giardini Aphrodite Appollon“ kannten sie noch nicht. Heute plantscht man bei spektakulärem Meerblick aus dem Thermalbecken. Wer hier nicht entspannen kann!

Hotspot der Wellness- und Kulturszene: Baden-Baden
Kurztexte, untermalt von stimmungsvollen Fotografien stellen im großzügigen Layout einzigartige Badeorte, Klassiker der Badekultur und verborgene Refugien nebeneinander. Hier weht der Geist vergangener Epochen. Das Jugendstilbad (in Darmstadt) oder das Müller’sche Volksbad (in München) für einen Tagesbesuch kommen ebenso zum Zuge wie Baden-Baden – ausführlich vorgestellt auf azurgold (Baden-Baden: Reise zur Architektur im Weltkulturerbe). Baden-Baden, dieser Hotspot der Wellness-Szene zeigt sich mit eindrucksvoller Architektur: im legendären Friedrichsbad ebenso wie im hier ausführlich gewürdigten Museum Frieder Burda mit herausragender moderner Kunst.
Moderne Bäderarchitektur in Meran und im Ötztal
Moderne Badetempel kommen ebenfalls nicht zu kurz und bilden Gegengewichte zu historisch gewachsenen Kurorten. Etwa in Meran, das mit der Therme Meran ein Meisterwerk moderner Architektur präsentieren kann (2005 erbaut vom Südtiroler Architekten Matteo Thun, 2019 erweitert und umgebaut von Renato Precoma).
Ebenfalls in einer beeindruckenden Berglandschaft liegt der futuristisch gestaltete Aqua Dome in Längenfeld, der größten Gemeinde im Ötztal. Das Mondscheinbaden inmitten imposanter Dreitausender wirkt sicher wie eine Schutzimpfung. Im italienischen Saturnia dagegen empfiehlt sich das Bad im natürlichen Morgenlicht. Hier kann sich jede frei von Zugangsschranken im Wasser tummeln.
Lovran: vom Reiz historischer kleiner Badeorte
Riesige Badekomplexe, die mit ihrer Infrastruktur eine Servicekultur bieten, die keine Wünsche offen lässt, wie im ungarischen Szechenyi Heilbad, laden dazu ein, in eine Parallelwelt einzutauchen und den Kopf freizubekommen. Ich erliege eher dem Reiz historischer kleinerer Badeorte, auch in diesem 320-seitigem Buch.
Zu mir passt Lovran besser als das nahe gelegene Opatija an der gleichnamigen kroatischen Riviera, das neben der Cote d‘ Azur wegen seines milden Klimas einst das Hauptreiseziel der Habsburger Elite war. So schön wie damals und so heilsam wie einst … Auch Lovran verströmt das Flair der Belle Epoque, nur eben zurückhaltender als die bekanntere Schwester. Lovran kommt von Lorbeer... Überhaupt: die Namen: Sie verheißen Schönheit, die von außen nach innen wirken kann: Deauville und Hyères in Frankreich, Arosa, Adelboden und Leukerbad, die selbsternannte „Quelle des Glücks“, in der Schweiz oder Palanga, die litauische „Antwort auf das französische Nizza“.

Und schließlich: „Wellness mit Flair“ beschert mir ein unverhofftes Wiedersehen mit Rogaska Slatina! Das Thermalwasser dieser ostslowenischen Kleinstadt, millionenfach abgefüllt, wird in alle Welt verkauft. Doch wer kennt es schon. Es liegt, gut 100 Kilometer von Graz entfernt. Nicht weit von dort, wo der slowenische Teil meiner Familie beheimatet ist. Unvergessliche Tage habe ich hier verbracht, lange her. Das Bild des schnuckligen kleinen Bahnhofs, der mich in das 19. Jahrhundert versetzt hat, sitzt tief in meinem Inneren.
In andere Sprachwelten in Slowenien oder auf Madeira eintauchen
Schon damals mochte ich sehr, im Sprachgemisch zwischen slowenischen, italienischen, österreichischen und deutschen Badegästen dem Charme und Ambiente einer längst vergangenen Epoche nachzuspüren. Darum zieht es mich, wenn ich lese, dass der Fischerort Porto Moniz an der nordwestlichen Inselspitze von Madeira ein beliebter Reiseort der Einheimischen ist, eben dorthin. Raus aus der täglichen Umgebung, rein in eine andere (Sprach)Welt. Dorthin, wo das warme Wasser plätschert und die Zeit langsamer vergeht. Wunderbar!
Mein Fazit
Dieser Streifzug macht Spaß. Wer „Wellness mit Flair“ zur Hand nimmt, weiß gar nicht, wo er zuerst entspannen soll. Und bekommt so viel mehr, als der Titel verspricht. Das Kur- und Wellnesserlebnis wird zum idealen Reiseanlass. Dieser Reiseführer hält in allen Himmelsrichtungen Europas reichlich Inspiration bereit, den erholsamen Teil der Reise mit Natur- und Kulturerlebnissen zu kombinieren. Tipps für kürzere oder längere Trips führen in bekannte Kurorte, zu kleinen Wasserrefugien oder frei zugänglichen Badeorten, in versteckte Berg- und Küstenregionen, etwa in Spanien, Portugal, Serbien oder Island, aber auch in große und kleinere Städte mit opulenter Kultur und Architektur.
Charmant entspannen in Europa, 320 Seiten, KUNTH Verlag, 2024
Die Buchbesprechung ist mit solcher Begeisterung geschrieben, dass ich mir das Buch kaufen möchte und dann die Qual der Wahl haben werde, wohin es gehen soll.