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Carpatia und Tava oder: backen und kochen auf rumänisch

Die rumänische Küche hat hierzulande kaum jemand auf dem Schirm. Irina Georgescu gelingt – gerade erst auf dem deutschen Buchmarkt angekommen – mit ihrem Kochbuch „Carpatia“ und ihrem Backbuch „Tava“ ein Doppelwurf. Über eine hybride Küche, deren Bandbreite überrascht, von bäuerlich bis aristokratisch.



Falsche Vorstellungen, Rumänien, seine Bewohner und seine Küche betreffend, möchte Irina Georgescu ausräumen. Sie stellt uns ihre Heimatküche als Teil des kollektiven europäischen Erbes vor. Ihr Kochbuch „Carpatia“ und ihr Backbuch „Tava“ gründen auf ein komplexes Geflecht. Bereits während der Zeit der Osmanen angelegt, wo es nicht den einen prägenden Einfluss gab, sondern mannigfaltige. Über viele Jahrhunderte haben sich verschiedenste Kulturen vermischt, aus denen die rumänische Küche mit ihren verführerischen Aromen und Texturen hervorgegangen ist.


Dazu gleich die gute Nachricht: Dieses verlockende Küchenreich können alle erfahrenen Hobbyköchinnen und -bäcker sich erobern: Besondere fachliche Kenntnisse oder Techniken brauche es nicht, nur Geduld zuweilen, verspricht Irina Georgescu.


Kulinarisch, kulturgeschichtlich, persönlich

Menschen über das, was sie essen, zu verstehen, heißt für sie, kulinarische Traditionen in einem kulturgeschichtlichen und persönlichen Kontext zu betrachten. Das extrahierte Wissen möchte sie mit vielen Menschen teilen – als Food-Autorin und in ihren Kochkursen. Dieser Passion folgt sie von London aus, wo sie seit 15 Jahren lebt.


Gut vorstellbar, dass ihr der Blick aus der Distanz, das reiche kulinarische Erbe bewusster gemacht hat. Irina Georgescu verbindet sich über die Küche mit ihrer Heimat, ihrem Land, ihrer Kindheit. Lieblingsgerichte aus Kindertagen, der besondere Duft und Geschmack. Einzigartige Erinnerungen und wohlige Gefühle, unwiederbringlich mit dem Essen verbunden: Wer denkt nicht gern daran zurück?


Wenn wir „eine Woche fern von zu Hause waren … oder eine Prüfung in der Schule hatten, kochte unsere Mutter unser Lieblingsessen. Das war ihre Art, uns ihre Liebe zu zeigen“, erinnert sich Irina Georgescu. Aus dem Geschmack ihrer Kindheit und dem „kulinarischen Genie“ ihrer Mutter hat sie eine Mission entwickelt.

„My dream is to build a life around food, discovering new flavours and changing perceptions with the help of recipes, photography and travel.“

Irina Georgescu


Mit den Rezepten, die sie in „Carpatia“ ausbreitet – das Kochbuch ist jenem Gebirge gewidmet, das die historischen Hauptregionen Moldau, Siebenbürgen und Walachei trennt – folgt sie den Spuren der Römer, Byzantiner, Osmanen, Österreich-Ungarn und Russen. Irina nimmt uns mit in die Weiten des Balkanlandes, in seine verwobene Geschichte an der europäischen Peripherie.


Die Liebe zu gefülltem Gebäck, Pies und Pasteten, nicht aus der rumänischen Küche wegzudenken, geht auf die Griechen und Römer zurück. Im Banat, im Südwesten des Landes, wo Awaren, Türken, Österreicher und Schwaben siedelten, sind Fleischgerichte mit Obst in einer leicht karamellisierten Sauce, wie Huhn mit Quitten, typisch.


Das rumänische Nationalgericht aus osmanischer Zeit

Aus osmanischer Zeit überliefert ist das Nationalgericht „Sarmale“ (es kommt vom türkischen sarmak und bedeutet „rollen“). Für die kleinen Kohlrouladen, klassisch mit Hackfleisch gefüllt und in einer Tomatensoße geschmort, verrät Irina das Rezept ihrer Familie. Saisonale Sarmale-Varianten mit Wein-, Meerrettich- oder Akazienblättern – ähnlich wie Weinblätter gefüllt mit Klebreis und Sultanien – zeugen von der „unglaublichen Vielfalt“ der rumänischen Küche.


Die Wahl-Britin kostet sie hingebungsvoll aus, aufgeteilt in kleine Gerichte und Vorspeisen, Brot und Streetfood, herzhafte Hauptgerichte, Desserts und Kuchen sowie Eingelegtes, Konfitüren, Kompotte und Getränke. Den Facettenreichtum süßer Köstlichkeiten aus Rumänien und anderer osteuropäischer Länder hebt sie auf – um für „Tava“ 260 Seiten auf das Feinste zu füllen.


Eine reiche Kaffeehaustradition

Heute noch – oder besser heute wieder – kann sich die tief im rumänischen Leben verwurzelte Kaffeehaustradition in den Städten sehen lassen. Jahrhundertelang schufen die Kaffeehäuser eine Bühne für die Debatten der Intellektuellen und künstlerischen Talente, bis der Kommunismus ihre Türen für 25 Jahre geschlossen hat. Zum Glück sind sie wieder da, kaum verändert, wie Georgescu feststellt. An der Kaffeetafel geht es schon mal opulent zu, zwischen Dobos-Torte und Strudelvariationen und dem traditionellen türkischen Kaffee aus reinen Arabicabohnen. Bemerkenswert von bäuerlich bis aristokratisch: der rumänischen Koch- und Backkunst ist nichts fremd.


Essen im Rhythmus der Jahreszeiten

Irina Georgescu fängt die Stimmung rund um die überdachten wandlosen Sommerküchen im Freien ein, wo sich das offene Feuer in Lehmöfen und auf großen Grillen über Fleisch, Fisch und Gemüse hermacht. Ihrer großen Bedeutung entsprechend widmet sie den stetig wiederkehrenden jahreszeitlichen Ritualen ein eigenes Kapitel – das betrifft auch den Fleischverzehr: „Im Sommer kochen wir auf türkisch-griechische Art, und im Winter orientieren wir uns an slawischen Rezepten und Speisen aus dem deutschen Raum“. Bereits als Kind begreift sie, dass das Leben der Nutztiere geopfert werden muss, um in der „Hungerzeit“, zwischen Dezember und Mai, genügend zu essen zu haben.


Carpatia – ein Kochbuch für Fleischfans und Vegetarier

Carpatia ist ein Kochbuch für Fleischfreunde und Vegetarier gleichermaßen. „In Rumänien essen wir schon immer mehr Gemüse und Getreide als Fleisch“, resümiert Georgescu – das Klima ist ideal für den Gemüseanbau. So bereitet sie ein Pilaf mit Pflaumen und karamelisiertem Lauch zu. Bei einer Ciorbă-Variante (säuerliche Suppe) verzichtet sie auf den typischen geräucherten Speck.


Ein Kapitel für gluten- und laktosefreies Gebäck

Manchen Spezialitäten verleiht die gebürtige Bukaresterin behutsam eine moderne Note. „Tava“ enthält ein Kapitel mit gluten- und laktosefreiem Gebäck. Georgescu arbeitet mit Präzision, Feingefühl und leichter Hand. Rezept für Rezept fächert sie ein ebenso vielschichtiges wie vielseitiges Panorama ihres Landes auf, weit davon entfernt, ihr Werk durch einen historischen Überbau zu überfrachten. 


Eine einzigartige kulinarische Prägung

Kochbuch und Backbuch ergänzen sich ganz wunderbar. Gemeinsam machen sie neugierig auf dieses Land, das Irina Georgescu liebevoll zwischen Transsilvanien und dem Donaudelta umschlingt und mit einer einzigartigen kulinarischen Prägung auszeichnet. In „Tava“ – Tava ist das rumänische Wort für „Tablett“ – führt sie uns tiefer in verschiedene rumänische Regionen ein. Klassisch-edel kommt der prachtvolle purpurrote Band daher, eine Schatzkiste mit köstlichen Pretiosen gefüllt: wie etwa schwäbische Mandelkekse, armenische Kurabia-Kekse oder Budapester Gerbeaud-Schnitten. Sie zeugen von den Einflüssen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, insbesondere der armenischen, (Siebenbürger) sächsischen, (Banater) schwäbischen, jüdischen und ungarischen.


Sehr beliebt: Kochen und Backen mit Polenta

Ob bei den beliebten Gerichten für gefülltes Gemüse und Obst – dem gefüllten Gebäck widmet Georgescu ein eigenes Kapitel in „Tava“ – oder Variationen „allgegenwärtiger“ Polentarezepte, pikant oder süß – Irinas Familie hatte ein eigenes Maisfeld –: Georgescu kostet die Klaviatur der rumänischen Kulinarik genüsslich aus.


Den Einfallsreichtum der Rumänen lobt sie mit Rezepturen für gezuckerte Zucchinipuffer oder Schneeeier mit Walnusskrokant, alles gekonnt verpackt – immer wieder mit Raffinesse oder auch von beeindruckender Schlichtheit.

Kochbuchseite mit Bild und Rezept zu Polentabällchen mit Joghurt und gebackenen Tomaten
Allgegenwärtig in der rumänischen Küche: Polenta © ars vivendi verlag

Kulinarische Traditionen feiern das Leben

Berühmt sind die legendären Feste der besonders gastfreundlichen Mazedorumänen. Da könne das Frühstück schon einmal nahtlos in ein Mittag- und sogar Abendessen übergehen“.  Zutaten wie Mahlep, gemahlene Felsenkirschkerne, erwecken Neugierde, ein Rezept für Engelshaar mit Honigsirup ebenso. „Mit den kulinarischen Traditionen feiern wir das Leben“, resümiert Georgescu.


Zwischen den Zeilen kursieren Geschichten von religiösen Bräuchen und Aberglauben. Im Land des Weizens ranken sie gern um das Getreide: „Wir glauben auch, dass uns unsere Schwiegermutter ... lieben wird, wenn wir die Brotkruste aufessen.“ Damit nicht genug: Die herabfallenden Brotkrumen verraten die Zahl der Kinder, die ein Brautpaar einmal haben wird.

Ein mit Kürbissen und Knoblauch reich beladener Marktstand
Auf dem Markt von Arad: Der Herbst beschert reiche Ernte © Felicitas Wlodyga

Irina Georgescu beschreibt die hohe Symbolkraft von Brot, erzählt von der Bedeutung der einflussreichen Magyaren (Ungarn) für die Geschichte Siebenbürgens oder wie die Szekler und Sachsen im südöstlichen Siebenbürgen dank ihrer Kirchenburgen und ihres militärischen Geschicks die Grenze am Fuß der Karpaten verteidigten. Sie stellt einen gewissen Baron von Brukenthal vor, der im 18. Jahrhundert das Siebenbürgische Edenschuf, ein moderner Visionär, der zum Vorbild der Aristokratie des Landes avancierte.


Sie erzählt, wie die Armenier im 18. Jahrhundert (im heutigen Bukarest) zu Wohlstand gelangten, wie die jüdischen Gemeinden den Handel in der Region Moldau und in den Donau-Hafenstädten prägten. Und sie schildert, wie der Schwarzmarkt für Rezepte während der kommunistischen Ära trotz vieler Beschwernisse das wertvolle kulinarische Erbe bewahren konnte. Was für ein Glück!

Carpathia takes the reader roaming through Romania from Transylvania to the Danube Delta while introducing dozens of satisfying recipes that express the landscape, culture and joys of traditional Romanian hospitality. This is a book of many virtues, filled with new ideas, flavours and insights.”

Caroline Eden


Mein Fazit Irina Georgescu gelingt mit ihrer Hommage an ihre Wurzeln eine Liebeserklärung an die rumänische Küche. Ich möchte gleich in den Zug steigen, wieder nach Rumänien reisen (mein Beitrag zu Timisoara, Kulturhauptstadt 2023, erscheint im Frühjahr). Sich dem Land spielerisch nähern: Mit Georgescus kulinarischem und hochwertig gestaltetem Bücherpaar gelingt das perfekt. Doppelte Kaufempfehlung, doppeltes Glück: versprochen!


Buchempfehlung


Irina Georgescus „Carpatia“ wurde 2021 von der GAD (Gastronomische Akademie Deutschland) als besonders empfehlenswertes Buch mit der Silbermedaille ausgezeichnet. In Großbritannien gelangte es auf die Shortlist für das beste internationale Kochbuch für den UK Guild of Food Writers Award 2021.



Buchempfehlung


Für „Tava“ gewann Irina Georgescu 2023 den James Beard Foundation Book Awards.








Über die Autorin

Irina Georgescu pflegt eine eigene Website. Hier findest Du ergänzende Infos der Autorin zu Carpatia“ und zu Tava“, jeweils mit der Inhaltsübersicht. Sie hat Gastauftritte bei On Saturday Kitchen im BBC Fernsehen, freut sich über Veröffentlichungen ihrer Rezepte in der Washington Post oder New York Times.


Reisetipp

Für September 2024 hat die Botschafterin der rumänischen Küche erstmals eine Reise nach Transsilvanien auf ihrer Website ausgeschrieben, die sie selbst kulinarisch begleitet.


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