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Große Kunst: Münsters Open Air Museum zwischen Aasee und Altstadt

Münster legt eine großartige Kunstperformance hin: mit der wichtigsten Skulpturenschau der Welt. Rund 60 Skulpturen warten darauf, Kunstbegeisterten die Stadt zu zeigen, ohne einen Fuß ins Museum zu setzen. Häufiger Perspektivwechsel erwünscht!


Auf einer Parkwiese lümmeln sich fünf Skulpturen um ein Wasserbecken.
Nicht mehr wegzudenken aus Münster: Nicole Eisemanns Skulpturen-Brunnen © Felicitas Wlodyga

Was Dich hier erwartet


Die Skulptur Projekte – eine Erfolgsstory

1977 erfindet Münster die Skulptur Projekte. Dafür realisieren international renommierte Künstlerinnen und Künstler überall in der Stadt Skulpturen an ihren Wunschorten. Die Idee zündet. Die Stadt macht weiter, alle 10 Jahre gibt es eine neue Ausgabe: 1987, 1997, 2007 und 2017. Stets parallel zur documenta, von Juni bis Oktober, organisiert vom LWL-Museum für Kunst und Kultur (LWL: Landschaftsverband Westfalen-Lippe).


Und siehe: Die Skulptur Projekte werden zur Institution. Matthias Löb, bis 2022 LWL-Direktor, bringt es auf den Punkt:

„Wie in keiner anderen Stadt gestaltet die intensive und stetige Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum den Alltag der Menschen mit. (…) Die Ausstellung hat das kulturelle Gedächtnis der Region fünf Jahrzehnte lang geprägt und bestimmt damit sowohl die kollektive Erinnerung als auch die Zukunft.“

Mehr als 60 skulpturale Kunstwerke formieren sich von der Altstadt bis zum Aasee zu einem Freilicht-Museum für Münster. Für ein paar Stündchen oder ein paar Tage: Es lohnt sich, die markanten Stadtgesellen zu betrachten. Irgendwo ist immer einer und lässt sich mit anderen Sehenswürdigkeiten vom Picassomuseum bis zum Prinzipalmarkt betrachten.


LWL-Museum mit Kunst am Bau © LWL / Deiters-Keul


650.000 Besucher:innen aus 72 Nationen locken die letzten Skulptur Projekte 2017 in die westfälische Stadt, die selbst rund 316.000 Einwohner zählt. Im 300 Quadratkilometer großen Stadtraum ziehen 35 künstlerische Positionen hinzu: neben Bildhauerei auch Installationen und performative Kunst. Das Münsteraner Open Air Museum brilliert mit Objekten aus Metall, Holz, Gips, Stein, Marmor – massiv oder grazil, groß oder klein. Zum Glück lassen sich viele Werke dauerhaft in der Stadt nieder.


Erste Erkundung am Aasee bei Jorge Pardo

Das Wetter ist schön – und ich habe ein Fahrrad! Beste Voraussetzungen, die Skulpturenlandschaft der zweitfahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands zu erkunden. Ich kenne Münster nicht und beschließe, die Stadt von außen nach innen zu entdecken, mir die Altstadt aufzuheben. Also: auf zum Aasee!

Jorge Pardo führt sein Werk „Pier“  weit in den Aasee
„Pier“ von Jorge Pardo

Ein malerischer Treffpunkt © Felicitas Wlodyga


Meine erste Station an der Skulpturenmeile am Nordwest-Ufer winkt schon, harmonisch in eine Ausbuchtung am Aasees eingefügt: „Pier“ (1997). Der Steg aus kalifornischem Redwood, realisiert vom Kubaner Jorge Pardo (* 1965), führt über 48 Meter zu einem See-Pavillon. Schlicht gestaltet, begehbar – ein Ort zum Innehalten. Offensichtlich gern besucht. Wer sich auf den Weg über das Wasser macht, erblickt die Altstadt mit ihrer markanten Kirchturm-Silhouette.


Donald Judd verneigt sich vor dem Aasee

Wuchtig geht es weiter: Die Arbeit des amerikanischen Künstlers Donald Judd (1928-1994) durchmisst 15 Meter. Einen Titel hat das wassernahe Werk von 1977 nicht. Doch – da hat jemand nachgeholfen: ein Street Art-Künstler? Auf dem äußeren der beiden symmetrisch um eine gemeinsame Mitte angeordneten Betonringe hat er seinen Titelvorschlag auf die graue Fläche platziert: „Endstation Sehnsucht“ steht da, farbstark, in großen Lettern.

Auf der Betonskulptur hat jemand den Schriftzug "Endstation Sehnsucht" aufgesprüht
Monumental: Betonarbeit von Donald Judd

Augen auf: Auch Hecken können Kunstwerke werden © Felicitas Wlodyga


Nicht weit von Donald Judds sich dem See zuneigenden Monumentalwerk wenden sich zwei Eiben-Buschwerke einander zu. Fast wäre ich an den immergrünen Baumhecken, je vier Meter hoch und sieben Meter breit, vorbei geradelt. „Less sauvage than Others“ – Weniger wild als andere (2007), nennt die deutsche Konzeptkünstlerin Rosemarie Trockel (* 1952) ihre Installation.


Auch Trockel, die als erste Frau den Deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig gestaltet, bezieht ihre Kunst auf die blaue Lunge Münsters. Dezent schimmert der Aasee durch das exakt geschnittene Laubwerk – wildes Wachstum nicht erwünscht!


Otto Modersohn im schönsten Park Europas

Ich umrunde den 2.100 Meter langen Aasee. 2009 kommt er, selbst 40 Hektar groß, zu Ehren. Und wird samt umliegendem Naherholungsgebiet, gemeinsam bringen sie es auf 90 Hektar, als „Europas schönster Park“ ausgezeichnet.


Der Modersohn-Wanderweg verflüchtigt sich von der südöstlichen Aasee-Uferseite in die naturbelassene Aa-Niederung. Sieht verlockend aus landeinwärts. Und weckt Assoziationen an die Landschaftsbilder Otto Modersohns (1865-1943). In der Stadt an der münsterschen Aa lebt er, in Soest geboren, etliche Jahre, bevor er nach Worpswede geht und die Künstlerkolonie mitbegründet.


Impressionen am Otto Modersohn-Wanderweg © Felicitas Wlodyga


Münsters Mega-Museum zwischen Aasee und Altstadt

Bevor ich das Ufer verlasse, gönne ich mir einen Imbiss in der „Mensa am Aasee“. Gute Adresse. Über 60.000 junge Menschen studieren an der Universität Münster. Für die erste Frühlingssonne lassen sie das Fahrrad, hier auch Leeze genannt, stehen – Stellplätze sind rar. Kaum eine andere Stadt verfügt über ein derart gut ausgebautes Radwegenetz und das angesichts von über 400.000 Fahrrädern.


Auch Hunde mögen Claes Oldenburgs „Giant Pool Balls“ © Felicitas Wlodyga


Entspannte Stimmung am Aasee © Felicitas Wlodyga


Claes Oldenburgs Hot Spot für Münster

Ich steuere auf Claes Oldenburgs „Giant Pool Balls“ – und die Adenauerallee Richtung Altstadt zu. Links schaukeln die Boote auf dem Aasee, lassen sich von der viel befahrenen Straße ebenso wenig beeindrucken wie die Spaziergänger, Radfahrer, Jogger, Hunde im Park. Mittendrin liegen sie, die drei XXL-Bälle des in Stockholm geborenen Künstlers Claes Oldenburg (1929 – 2022), ein Hot Spot der Skulpturen-Metropole.


Billardkugeln kommen Oldenburg, einem der bedeutendsten Vertreter der amerikanischen Pop Art, in den Sinn, als er die Stadt 1977 für die erste Ausgabe der Skulptur Projekte besichtigt. Seine Vision: Münster als ein riesiges Spielfeld, mit einer unbegrenzten Anzahl von Kugeln, über das gesamte Stadtgebiet gewürfelt. Wird leider nichts – zu teuer! In diesem Fall.


Die Künstlerinnen und Künstler goutieren, ungewöhnliche Projekte verwirklichen zu können. Weil Münster ihnen absolute Freiheit gewährt – nur mach- und finanzbar muss das Kunstwerk sein. Was die Stadt über die nahezu 50 Jahre ihrer Skulpturen Projekte finanziell alles stemmt, ist allerhöchstes Niveau.


Wie von einem gigantischen Queue angestoßen, liegen die drei Kugeln zwischen Picknick-Gruppen und Hunden, die ihre Besitzerinnen an der Leine hinter sich ziehen. Claes Oldenburg, der gern mit Alltagsgegenständen und Nebensächlichem spielt, passt wunderbar hierher. Mit großen Formen klotzt er gern: 1982, auf der documenta 7, setzt er eine 12 Meter hohe Spitzhacke ans Ufer der Fulda und bereichert die Kasseler Kunstszene.


Zurück nach Münster! Das 2018 als lebenswerteste Stadt in NRW gekürt wird – 2004 sogar als lebenswerteste der Welt! Wo 1648 der Westfälische Frieden ausgemacht wird, lässt sich auch Claes Oldenburg von der Historie leiten: Er hört von einer in der Stadtmauer steckengebliebenen Kanonenkugel und von Münsteranern, die sich für Ballonfahrten begeistern. Und weiß: Seine hiesige Kunst muss rund werden!


Die Skulptur Projekte Münster 2027 kommen!

Die Vorbereitungen für die Skulptur Projekte Münster für 2027 laufen auf Hochtouren. International anerkannte Künstlerinnen und Künstler werden sich blicken lassen, die Stadt in eine Bildhauerwerkstatt verwandeln, ihr einen neuen Energieschub geben.


Nicht von Anfang an kommen die Kunstwerke bei jedem in Münster gut an. Vor allem in den 1970er Gründungsjahren empören sich Bürger lautstark. Diese abstrakte Kunst soll ins behutsam nach dem Krieg wieder aufgebaute Stadtbild passen? Heute ist man stolz auf das weltweite Renommee der Skulpturen-Großausstellung.


Mit Henry Moore die Wahrnehmung schärfen

Im Laufe meiner Tour sehe ich mich mehr und mehr in die Kunstwerke ein, schärfe meine Wahrnehmung. Auch Henry Moore (1898-1978) ergänzt das Museum unter freiem Himmel in Münster. Er lädt abseits der Altstadt auf eine abgelegene Aasee-Wiese ein. Im satten Grün lässt sich sein Oeuvre von allen Seiten betrachten. Der Engländer zählt zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Bereits 1946 findet eine Retrospektive seines Schaffens im Museum of Modern Art in New York statt.


Henry Moore: „Large Vertebrae“ © Felicitas Wlodyga


Henry Moore, ein Freund der polierten, glatten Oberfläche, orientiert seine Plastiken an der Natur. Wurzeln, Steine, Knochen regen ihn zu abstrakten Formen an: Hier nimmt er sich Knochen des Rückenwirbels vor: „Large Vertebrae“. Ich, die Betrachterin, bestimme den Standpunkt. Was verändert sich durch seinen Wechsel zwischen all den Verschränkungen, Durchblicken, Zwischenräumen, Lichtreflektionen und Schattenwürfen der fließenden Formen?


Ein wunderbarer Entschleunigungs-Kurs! Wie lange mag Henry Moore wohl nachgedacht haben, wo er seine Bronzeplastik platziert? Wie oft hat er die Lichtverhältnisse, die Jahreszeiten und die Landschaft studiert? Seine Skulpturen bevölkern weltweit bedeutende Orte des öffentlichen Interesses, in Deutschland etwa vor dem Haus der Kulturen der Welt (ehemalige Kongresshalle) in Berlin oder vor der Neuen Pinakothek in München.


Sketches for Münster von Nicole Eisenman

Dass Skulpturen Geschichten-Erzählerinnen sind, demonstriert das Werk „Sketch for a Fountain“ der New Yorker Künstlerin Nicole Eisenman (* 1965) eindrucksvoll. Der Publikumsliebling von 2017 ruft auch hitzige Gemüter auf den Plan. Das Kunstwerk muss homophobe und antisemitische Beschmierungen aushalten, wird teilweise zerstört.


Eisenmans fünf nackte Figuren aus Bronze und weiß patiniertem Aluminium sind nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. So, wie sie sich entblößt und selbstbewusst rund um den Brunnen aalen – provozieren sie auch massive Widerstände. Die Initiatoren des Vereins „Dein Brunnen für Münster“ halten dagegen, sammeln über Jahre Spenden. Mit Erfolg: 2021 kann die auffällige Skulpturengruppe am von Eisenman festgelegten Ort dauerhaft Position beziehen.


Nicht zu übersehen: Brunnenskulpturen-Ensemble von Nicole Eisenman © Felicitas Wlodyga


Mit dem Brunnen bezieht sich Nicole Eisenman auf eines der ältesten Themen von Kunst im öffentlichen Raum. Es zieht Künstler:innen seit der Antike in den Bann. Wer genau hinschaut, entdeckt originelle Öffnungen für die kleinen Wasserfontänen: auf Unterschenkeln oder einer Schnecke, die auf der Schulter einer der überlebensgroßen Figuren sitzt. Das hat Witz. Doch der ernste Hintergrund und die hässlichen Begleitumstände mit ihren Anfeindungen beschäftigen mich noch weiter.


Pflichtprogramm Promenade: rund um die Altstadt

Ein typischer Ton für Münster? Das Klingeln der Fahrräder! Energisch bimmelt es, gefühlt überall. Der Soundtrack begleitet mich auf der „Promenade“, die ich entlang sause, um Nicole Eisenmans Brunnenwesen an der Kreuzschanze zu besuchen.

Was für Baden-Baden die Lichtentaler Allee oder für Berlin der Tiergarten, ist für Münster die Promenade. Stolze 4,5 Kilometer verläuft der grüne Gürtel entlang der ehemaligen Stadtmauer. Der autofreie Ring um die Innenstadt ist einzigartig in Europa. Ob das Schloss mit der Universität, der monumentale St. Paulus Dom oder die Jüdische Synagoge, sie alle docken an die Lindenallee an. Hier musst Du hin, sonst hast Du Münster nicht im Gespür!


Ulrich Rückriem zieht es zur Petrikirche

Noch eine Skulptur wartet auf mich. Viele Menschen eilen an ihr vorbei. Umgeben vom Flair der juristischen Fakultät und vom katholischem Geist der Petrikirche steht sie da: eine skulpturale Erscheinung aus neun rohen Steinkeilen von Ulrich Rückriem (* 1938). Unterschiedlich hoch und abgetreppt gestuft kauern sie sich aneinander.


In sich gekehrt, aber auch extrovertiert kommunizieren die massiven Steine intensiv mit ihrem Standort. Form und Material sympathisieren mit der Längswand der Petrikirche. Aus ihrem Material, dem Dolomit, formt der Künstler 2014 den Hauptaltar des Hildesheimer Doms. Ein Name, den ich mir merken werde: Ulrich Rückriem.

Massive Dolmitengruppe vor der Petrikirche
Neun Dolomiten im Zuschnitt von Ulrich Rückriem © Felicitas Wlodyga

Materialschau und Perspektivwechsel © Felicitas Wlodyga


Mein Fazit

Wie Donald Judd, Rosemarie Trockel, Claes Oldenburg und Ulrich Rückriem zeigen: Du kannst Dir Münster über die Skulpturenkunst erschließen. In der Altstadt, rund um den Aasee oder im Uni-Viertel, im grünen Norden Münsters oder auch jenseits der Stadtgrenzen in Marl oder Rheine. Ob Du den St. Paulus Dom anschauen, ins LWL-Museum, schwimmen oder einkaufen gehen magst. Kunst begegnen, draußen sein und nebenbei überraschende Einsichten in die Ausdrucksformen von Skulpturen gewinnen – das fügt sich wie selbstverständlich zusammen.


Infos und Touren zu Münsters Skulpturen

Stell Dir eine eigene Tour zusammen: Als beste Grundlage für den Münsteraner Skulpturengang sortiert der Skulpturenführer im Long Card-Format 64 Kunstwerke in sechs Tourenvorschläge, ergänzt durch kurze Infoblöcke und Orientierungspläne. Kleine Einschränkung: Stand von 2015. Auf Deutsch nur online verfügbar. Auf Englisch bei der Münster Information als Broschüre (1,- €), z. B. im Rathaus, Prinzipalmarkt 10.

 

18 Kilometer lange Skulpturen-Radtour zu 25 sehr unterschiedlichen Werken im Stadtraum. Donald Judd und Henry Moore sind auch dabei. Auf diesem Portal finden sich viele Ausflugstipps – und einige Skulpturen-Touren, etwa rund um die Promenade.

 

Stadteigene Auswahl: Die Stadt Münster hält auf ihrer Website 11 Empfehlungen besuchenswerter Skulptur-Objekte bereit (mit Infos und Standorten).


Immer wieder sonntags kann sich, wer möchte mit eigenem Drahtesel einer 90-minütigen Fahrrad-Führung zu ausgewählten Skulpturen durch Münster anschließen (Kosten: 7,- € pro Person)

 

Das Skulptur Projekte Archiv bündelt Informationen zu allen fünf bisherigen Ausstellungen seit 1977. Das Archiv ist Teil der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur, das die Skulptur Projekte 2027 zum sechsten Mal ausrichten wird.


Informationen rund um die Künstlerin Nicole Eisenman, „ihren“ Brunnen für Münster und die Initiative für dessen Dauerpräsenz in Münster versammelt eine eigene Website. Unter dem Motto „Dein Brunnen für Münster“ setzen die Bürger:innen der Stadt Münster „ein Zeichen für Frieden, Toleranz und Vielfalt“.


Wer weiter über Münster hinaus will, hat viele Möglichkeiten auf rund 4.500 Kilometern ausgeschilderten Radwegen, von der Innenstadt bis in die überwiegend flache Parklandschaft des Münsterlandes. 



Für den Imbiss zwischendurch: Mensa am Aasee

 

Museen in Münster

Auch für Kunst im Innenraum hat Münsters Museenlandschaft in zahlreichen Dauer- und Sonderausstellungen einiges zu bieten.


Das LWL-Museum (Landschaftsverband Westfalen-Lippe), Münsteraner Flagschiff der größten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalens, bietet Veranstaltungen für Groß und Klein.


 


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