Jan Maruhn
6 Statements zur Kunsthalle Mannheim: Wo architektonische Bildwelten mit Gegensätzen spielen
Welche Wirkung die gmp-Architekten rund um Meinhard von Gerkan mit der Kunsthalle Mannheim erzielen, wie sie vom Altbau inspiriert werden und was ihren Bau ebenso gegenwärtig wie zeitlos wirken lässt, dazu hat der Kunsthistoriker Jan Maruhn sechs spannende Antworten.
Dieser Gastbeitrag zur Kunsthalle Mannheim gehĂśrt zum Artikel âKunst und Logis in Mannheimâ, dem ersten Teil der azurgold-Serie âKunst und Logis in ...â. Sie bringt Dir einen Kunstort Ăźber seine Architektur näher. Ein ergänzender Unterkunftstipp mit dem besonderen Etwas macht Deinen Aufenthalt noch schĂśner!
1. Wie haben die GMP-Architekten bei der Kunsthalle Mannheim die Verbindung zwischen alt und neu in ihrem Erweiterungsbau gelĂśst?
Jan Maruhn: Alt- und Neubau bleiben eigenständig. Die Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) versuchen nicht, sanfte Ăbergänge zu schaffen. Stattdessen gelingt es dem Hamburger ArchitekturbĂźro, die sehr unterschiedlichen Charaktere von Alt- und Neubau nicht nur zu erhalten, sondern mehr noch: Alt- und Neubau stoĂen mit ihrer Jugendstilarchitektur auf der einen Seite und der neomodernen Formensprache auf der anderen Seite aufeinander.

gmp schaffen es, Gegensätze so aufzubauen, dass Besucher sehr unterschiedliche Raumkonzepte wahrnehmen kĂśnnen und sollen â und so verschiedene architektonische Bildwelten in einem Bau erleben kĂśnnen.
2. Wie verhält sich das ĂuĂere der Architektur zu den Ausstellungsräumen im Inneren?
Blockhaft zeigt sich der massive Neubau zum Friedrichsplatz hin und definiert selbstbewusst den Kunstort als beherrschende Architektur in der Stadt. Zugleich Ăśffnet sich die Architektur durch eine vollverglaste Betonung des Eingangs zum vorgelagerten Stadtplatz.

SelbstbewuĂte Architektur im Herzen Mannheims Š HG Esch
Wie ein transparenter Schlitz teilt die Eingangshalle den groĂen Kubus in zwei blockhafte GroĂformen, die beide nach auĂen geschlossen sind. So bleiben die Kunstwerke wie in einem Schatzkästchen geschĂźtzt. gmp gelingt es, Neugier zu erzeugen. Mit ihrer Architektur fordern sie die VorĂźbereilenden auf, sich auf eine Kunstexpedition zu begeben. Und wie lässt sich das besser erreichen als durch Offenheit?
Ganz im Kontrast zu der Geschlossenheit der Ausstellungsräume, die die Kunst von der Normalwelt der Stadt trennt, Üffnet sich die riesige Eingangshalle vom Boden bis zum Dach und lädt jeden ein, hineinzukommen.
3. Welche Besonderheiten kennzeichnen den Bau? Was macht ihn zeitlos Ăźberzeugend?
gmp arbeiten auf der Basis von Gegensätzen: alt gegen neu, Geschlossenes gegen Offenheit, klein gegen groĂ, hell gegen dunkel, innen gegen auĂen. Dadurch erschaffen die Architekten ein HĂśchstmaĂ an sinnlicher WahrnehmungsfĂźlle.

Vor allem der Gegensatz der groĂen Eingangshalle und die sich an sie anschlieĂenden Ausstellungsräume ist faszinierend. Während die Eingangshalle mit ihren weiĂen Kuben dramatisch-dynamische architektonische Kunstformen aufbaut, sind die VerbindungsbrĂźcken, die sie durchschneiden, wie moderne Wiedergänger von Piranesis Phantasiearchitekuren konstruiert.


Die groĂen und kleinen Ausstellungsräume bleiben dazwischen sachlich nĂźchtern. Sie dienen der Kunst. Und sie stellen sich ganz auf die Wirkmächtigkeit der in ihnen gezeigten Kunstwerke ein.
4. Welche Leitfragen legst Du Deiner Architektur-Betrachtung zugrunde?
Mich reizt immer der Charakter einer Architektur. Weniger der Stil. Vielmehr die Stimmigkeit des Entwurfs ist wichtig. In jeder Epoche gibt es spezifische Entwurfsstrategien, doch nicht jedes Werk kann meisterhaft sein.
Auch wenn mich selbstverständlich Meisterwerke besonders reizen, ist es häufig die Gebrauchsarchitektur, die den Charakter eines Baus und seine städtebauliche Wirkkraft bestimmen. Und das interessiert mich besonders. Wie wirkt eine Architektur in ihrem Umraum? Daraus ergibt sich immer die Frage, was den Charakter einer Architektur ausmacht. Ganz ähnlich wie beim Menschen suche ich das Wesenhafte auch in der Architektur.
5. Was begeistert Dich an diesem Museumsbau?
Es ist ein Markenzeichen von gmp, die auch den Berliner GroĂflughafen und das Nationalmuseum in Peking erbauten, Kleines und GroĂes miteinander zu verschränken. Genauso wichtig wie die GroĂstruktur ist ihnen das Detail. Sie suchen nicht allein die groĂe Geste. Stattdessen sehen sie ihre Architektur als konzeptuelle Vereinigung: Dabei ist die Rhythmisierung der massiven GroĂform ebenso wichtig wie die Gestaltung etwa von FuĂleisten.
Zugleich gelingt gmp bei der Kunsthalle Mannheim das Kunststßck, Gegensätze aufzubauen und zu betonen: Statt allumfänglicher Harmonie, die alles mit allem passend machen mÜchte, schaffen sie ein widersprßchliches Werk. Groà gegen klein, alt gegen neu, nßchtern gegen dramatisch. Das ist schon meisterhaft.
6. Gibt es etwas an diesem Bau, dass Du nur von hier kennst?
gmp nehmen die Rauheit der Stadt Mannheim auf, die sie als ästhetische Herausforderung sehen. Und doch sehen sie in der Stadt auch eine poetische, versteckte SchÜnheit. Beides vereinigen sie in ihrem Entwurf fßr die Kunsthalle Mannheim. Und sie schaffen einen wahren Kunstort.
Ohne ihre architektonische KĂśnnerschaft zu verstecken, geben sie den Kunstwerken Atmungsräume, so dass die hervorragende Keramiksammlung genauso gut zur Geltung kommen kann wie Manets âErschieĂung Kaiser Maximiliansâ. Architektur und Kunst bleiben Gegensätze, aber in der Kunsthalle Mannheim in hĂśchst kreativem Wettstreit.

Gastautor: Jan Maruhn
Magisterstudium der Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin (FU)
zahlreiche VerÜffentlichungen und Vorträge zu Architektur und Kunstgeschichte
Leiter der Bildhauerwerkstatt /Kulturwerk des Berufsverbandes Bildender KĂźnstler Berlin (2001â2023)
Dozent an der FU Berlin / GasthĂśrerCard-Programm Art
Dozent an der Goethe-Universität Frankfurt / Universität des 3. Lebensalters
wissenschaftliche Begleitung zahlreicher kunsthistorischer Exkursionen und Studienreisen
BuchverĂśffentlichung (Nimbus-Verlag): Nina Senger, Jan Maruhn: Hugo Simon, Sozialist, Pazifist, Bankier (Herbst 2023).