Wiesbaden brilliert mit großer abstrakter Kunst im Museum Reinhard Ernst
- Felicitas
- 11. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Wiesbaden bietet eines der schönsten Museen des Landes in einer der attraktivsten Städte der Republik: das 2024 eröffnete Museum Reinhard Ernst ist großartig. Lasse Dich für das einzige deutsche Museum für abstrakte Kunst begeistern und von phantastischer Architektur umgeben.

Ein warmer Mittwochabend. Das Museum Reinhard Ernst hat – wie jeden Mittwoch – bis 21 Uhr geöffnet. Ich betrete das lichtdurchflutete Erdgeschoss – wie schon in den ersten vier Wochen nach seiner Eröffnung 20.000 Besucherinnen und Besucher vor mir. „Das Haus ist ein Ereignis“, schreibt die FAZ über das vom japanischen Architekten Fumihiko Maki (1928-2024) geschaffene Kunsthaus.

Wilhelmstraße 1: Wiesbadens Kunst- und Architekturmeile
Das Museum Reinhard Ernst, kurz mre genannt, residiert direkt an Wiesbadens feinster Adresse: Wilhelmstraße 1. Hier – nicht weit entfernt von Casino, Kurpark und Landestheater – schlägt das historische Herz der hessischen Landeshauptstadt. Gleich nebenan lockt das Museum Wiesbaden mit hochkarätigem Jugendstil und Jawlensky (mehr über dieses Museum und Wiesbaden erfährst Du im azurgold-Artikel „Wiesbaden: Viel Wasser, viel Kunst“).
Ein architektonisches Statement: Das Museum Reinhard Ernst © Felicitas Wlodyga
Ich durchwandere ein Museum, das mich schnell für sich einnimmt: ausgehend vom Entrée, über die Präsentation und Auswahl abstrakter Kunst bis zur sich ganz auf die Kunst einstellenden Architektur. Im Erdgeschoß spaziere ich an Katharina Grosses Glaskunstwerk entlang. Die deutsche, international agierende Künstlerin (* 1961) liebt es monumental: 64 Quadratmeter groß ist ihre Arbeit „Ein Glas Wasser, bitte“, ein Auftragswerk für das mre.
Im ersten Stock begrüßt mich Tony Cragg mit seiner gigantischen Bronzeskulptur „Pair“. Sechs Meter hoch und drei Tonnen schwer schieben sich zwei Stelen in die Höhe, die bereits im Rohbau verankert wurden, ebenfalls Kunst, fürs mre gefertigt. Tonig Craig, 1949 in Liverpool geboren, lebt seit 1977 in Wuppertal. Auch an der Spree nahe dem Deutschen Bundestag türmt sich eine seiner abstrakten Schichtskulpturen auf. Eine ältere Schwester der hiesigen, von der charakteristischen Art, die man mit dem Bildhauer verbindet.


Reinhard Ernst – Museumsmacher und Mäzen
Mich interessiert auch, wer dieser Mensch ist, der ein Museum für abstrakte Kunst in Wiesbaden eröffnet – und es der Stadt schenkt –, um seine einzigartige Kunstsammlung zu präsentieren: Der Mastermind hinter diesem Projekt, Namensgeber Reinhard Ernst, der vom Bauunternehmer zum Museumsmacher werden konnte.
Alles fängt damit an, dass Reinhard Ernst in den 70er Jahren keine Wände mehr in seinem Wohnhaus findet, um seine Kunst aufzuhängen. 40 Jahre später – und um rund 1.000 Kunstwerke reicher – erfüllt sich Reinhard Ernst seinen Lebenstraum, erschafft ein Museum und verwirklicht sein zentrales Anliegen, seine Kunst mit möglichst vielen Menschen zu teilen.
„Für mich ist es selbstverständlich, dass ich als Sammler eine Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit trage, denn die Kunstwerke wurden nicht für mich allein geschaffen.“
„Kunst gehört allen“, lautet sein Motto. Kunst sammeln heißt für ihn, sie anderen zugänglich zu machen, besonders Kindern und Jugendlichen. An den Vormittagen gehört das Museum ausschließlich ihnen. Alle bis 18-jährigen haben generell freien Eintritt.
Vormittags gehört das Museum Kindern und Jugendlichen © Robert Lichtenberg

Abstrakte Kunst – ausschließlich!
Abstrakte Kunst erlebt ihren internationalen Durchbruch nach dem Zweiten Weltkrieg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Abstrakte steht für westliche Freiheit und Demokratie. Reinhard Ernst, Jahrgang 1945, erreicht im ersten Berufsleben mit seiner Firma für Antriebstechnik „Harmonic Drive“ die Weltmarktspitze. Die Welt der Motoren, Getriebe und Kupplungen lässt er hinter sich – für die abstrakte Kunst. Sie zieht ihn mit ihren leuchtenden, farbintensiven und hochemotionalen Werken in ihren Bann. Es ist der radikal neue Umgang mit Farbe, der eine magische Anziehungskraft auf ihn ausübt.
Museum Reinhard Ernst und Wiesbaden feiern „Farbe ist alles!“
Die erste Sammlungspräsentation des auch in der Kunstwelt Aufsehen erregenden Wiebadener Museumsauftritts heißt dann auch: „Farbe ist alles!“. Diese Hommage an die Farbe ist noch bis weit in das Jahr 2027 zu sehen (gute Idee, die lange Laufzeit!). Ich tauche begeistert ein in das faszinierende Wechselspiel von Farben und Formen.
Zweifellos sind Farben das hervorstechendste Merkmal der Sammlung von Reinhard Ernst, ob als Aquarell, Ölfarbe, Tusche, Lack, auf Glas, in der Fotografie wie bei Wolfgang Tillmans Hingabe zu Smaragdgrün, Titel „Freischwimmer 193“ (2009). Oder bei Simon Hantais ganz in Blau auf Leinwand gebannter Acrylarbeit „Tabula“ (1980). Und natürlich bei Helen Frankenthaler (1928-2011), Ernsts Lieblingskünstlerin. Die Amerikanerin zeigt sich als wahre Farbkönigin, wenn sie ihr künstlerisches Genie auf großformatigen Objekten in Makis weitläufiger Architektur verströmt. Auch ihre Farben steigern das Raumerlebnis auf 2.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche.

Großformatige Kunst in weitläufiger Architektur
Aktuell ist der Künstlerin (und das nur bis 28. September 2025) unter dem Titel „Helen Frankenthaler. Move and Make“ eine Sonderausstellung im mre gewidmet. „Im Abstrakten bin ich völlig frei, zu sehen, was ich sehen will“, so Reinhard Ernst. Wie toll das ist, einfach Kunst zu betrachten, ohne sich festzulegen, denke ich – und verliere mich auf Helen Frankenthalers gigantischen Leinwandflächen in zarten Farbverläufen. Eine tolle Künstlerin und wichtige Vertreterin des abstrakten Expressionismus. Schön, dass sie, weniger bekannt in Deutschland, in Wiesbaden wie auch im Bilbao Museum Guggenheim (ebenfalls bis 28. September 2025) die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhält.
© Felicitas Wlodyga © Robert Lichtenberg
Als Freundin von Farben und großformatigen Bildern – ich denke an die bei Bern ausgestellten naturalistischen Riesenformate des Schweizer Künstlers Franz Gertsch – komme ich voll auf meine Kosten: Hier triumphiert das Großformat, in Werken von Friedel Dzubas, K.O. Götz, Toshimitsu Imai, Robert Motherwell, Judit Reigl, Toko Shinoda, Pierre Soulages, Frank Stella und Fred Thieler, die ich alle näher kennenlernen möchte. Ein kleines Bild schafft eher Distanz, in einem großen Bild kann ich mitten drin sein – ein Genuss. In Kunst baden, wo, wenn nicht hier?

Abstrakte Kunst: Spiegel der Umbrüche nach 1945
Reinhard Ernsts Kunstsammlung spiegelt die gesellschaftlichen Umbrüche nach dem Zweiten Weltkrieg wider. 60 Sammlungsobjekte zeigt die erste mre-Schau, eingeteilt in Bereiche wie „Farbe hoch drei“, „Malerei maßlos“, „Gegen den Strich“, „Die Befreiung der Farbe“ – alle Kunstobjekte sind nach 1950 entstanden. Sie stammen aus den USA, Japan und ganz Europa. Der Streifzug durch Höhepunkte aus der Geschichte der Abstraktion ist ein Fest. Wie homogen sich hier alles ineinander fügt! Hier stimmt so vieles: ja, alles!
Reinhard Ernsts regelmäßige Dienstreisen als Bauunternehmer haben – zunächst en passant, dann immer professioneller – seine geografischen Sammlungsschwerpunkte vorgegeben: Frankreich, Deutschland, USA und Japan. Ein weiterer Superlativ: so viele Kunstwerke japanischer Abstraktion, wo gibt es das in Europa schon? Darunter etwa „Höhenflug“ (1987/1988) von Kazuo Shiraga, der seine großformatigen Bilder – dieses ist 214,5 x 214,5 cm groß – oft mit den Füßen, an Seilen hängend vollbrachte.
mre-Sammlung wird höchsten Maßstäben gerecht
Seinen Vorsatz, „dass jedes einzelne Bild einen Wow-Effekt auslöst und kein einziges auch nur den Eindruck aufkommen lässt, nicht erstklassig zu sein“ – hat Reinhard Ernst um einiges getoppt. In einem der wenigen Museen weltweit, das sich exklusiv der abstrakten Kunst widmet, hält er mit seiner Sammlung und ihrem seltenen Profil selbst wissenschaftlichen Kriterien stand:
„Das Alleinstellungsmerkmal der Sammlung von Reinhard Ernst (im internationalen Maßstab) besteht in der weit über Europa hinausreichenden, auch Japan und die USA einbeziehenden internationalen Ausrichtung, in der Berücksichtigung aller wichtigen Künstlergruppen und in der umfassenden Breite und Qualität, in der die unterschiedlichen Tendenzen und Strömungen informeller und gestisch-abstrakter Kunst nach 1945 dokumentiert sind. Ich kenne keine Sammlung und kein Museum weltweit – weder in öffentlicher noch in privater Hand –, die bzw., so das dies zu leisten vermöchte.“
So urteilt Christoph Zuschlag, Professor für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart an der Universität Bonn, in einem Gutachten.
Mein Fazit : Unisono Begeisterung: beim Publikum, den Medien, der Kunst- und Museumswelt, der Wissenschaft. Sie erfasst auch mich. Herausragende Kunst und herausragende Architektur! Also: unbedingt nach Wiesbaden fahren. Hier lässt sich prächtig schwelgen, in einer wunderbaren Welt von großformatigen Kunstwerken, klaren Linien, weiten Räumen, unerwarteten Blickachsen. Spektakulär!

Museums-Infos
Website: Museum Reinhard Ernst
Adresse: Museum Reinhard Ernst, Wilhelmstraße 1, 65185 Wiesbaden
Tiefer eintauchen
Bereits von zuhause aus kannst Du auf der mre Online-Sammlungsseite stöbern und gucken, welche Kunst Dich in Wiesbaden erwartet und erste Informationen über die ausgestellten (und die nicht ausgestellten) Werke erhalten.
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