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Schwarzes Meer: Kulinarisch reisen mit Caroline Eden über Odessa und Istanbul

Was haben Rumänien, Bulgarien, die Türkei, Georgien, Russland und die Ukraine gemeinsam? – Alle verbindet das Schwarze Meer. Caroline Eden hat die Region – vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – per Bus und Bahn erkundet. In ihrem Reise- und Kochbuch „Schwarzes Meer" nimmt sie uns mit in die Ukraine – wie es derzeit nur im Buch möglich ist.

Istanbul: Blick über den Bosporus mit Sonnenuntergang
Auch kulinarisch eine große Verlockung: Istanbul © Felicitas Wlodyga

Was das Meer dir geben kann, findest du nirgendwo sonst.
Elena, „die letzte Fischerin Bulgariens“

Liebe auf den ersten Blick

Bereits „durch das staubige Fenster eines türkischen Busses” fühlt sich Caroline Eden magisch von der „spirituellen Wucht und Stärke“ des Schwarzen Meeres angezogen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Grund genug, ihrem Sehnsuchtsziel – mit 436.400 km² etwa so groß wie die Nordsee und bis zu 2.000 Meter tief – eine persönliche „multisensorische“ Hommage zu widmen.


Reiseroute von Odessa über Istanbul bis Trabzon

2.253 Kilometer legt die britische Journalistin, Autorin renommierter englischer Tageszeitungen wie Guardian und Times, mit Bus und Bahn zurück, um den östlichsten Rand Europas unter die Lupe zu nehmen. Historische Zusammenhänge, politische Differenzen, persönliche Begegnungen und kulturelle Traditionen gehen in ihre kulinarische Reise ein. Aus Tausenden Puzzleteilen formt Eden eine faszinierende Reisereportage, für die sie in die Ukraine und die Türkei, Rumänien und Bulgarien reist. Auf Georgien und Russland geht sie ein, ohne dort gewesen zu sein.


Mit ihrer Erkundungstour verbindet die Caroline Eden zwei „der interessantesten und poetischsten Städte“ am eurasischen Binnenmeer: zum einen Odessa, heute in der südlichen Ukraine gelegen und 1794 gegründet – und das weniger bekannte Trabzon im Nordosten der Türkei. Eine Stadt, deren Spuren bis ins 8. vorchristliche Jahrhundert reichen. Beiden Städten widmet sie große Aufmerksamkeit. In „Schwarzes Meer“ begegnen wir einer gebildeten und liebevollen Geschichtenerzählerin, die gesteht, selbst weit mehr erfahren zu haben, als sie hätte „erahnen können“.


Istanbul und seine großartige Küche

Wie gut, dass Edens Route, die sie per Bus und Bahn zurücklegt, über Istanbul führt. Die dritte Schlüsselstadt ihres Herzensprojekts bedeutet der Autorin viel. Für Caroline Eden ist die Metropole am Bosporos die „ultimative Schwarzmeer-Diaspora“ mit der „großartigsten Küche der Welt“. Hier, wo sich Mittelmeer und Schwarzes Meer über die Meeresenge des Bosporus verbinden, lässt sich der Bogen kulinarisch kongenial schlagen: Er vereint Caroline Edens Schwarzmeerküche mit der mediterranen Kochkunst von Claudia Roden. Auf azurgold kannst Du Rodens wunderbares Werk „Mittelmeerküche“ kennenlernen.

Fischer beim Angeln auf der Galatabrücke in Istanbul
Fischer auf der Galatabrücke in Istanbul © Felicitas Wlodyga

Historische, kulturelle und kulinarische Bezüge

Caroline Edens als Reise- und Kochbuch ausgewiesenes Kompendium überzeugt durch das geradezu innige Miteinander von historischen, kulturellen und kulinarischen Bezügen. Auf 280 Seiten webt die Autorin rund 60 Rezepte in ihren Erzählfluss ein. 200 Fotografien tragen dazu bei, die Schwarzmeerregion atmosphärisch einzufangen. Für alle, die sich intensiver mit der Geschichte und Kultur dieses Teils von Europa auseinandersetzen möchten, eine wahre Fundgrube weiterführende Erkundigungen.


Hamsi ist das Fastfood der Schwarzmeer-Region

Nun aber zum Essen. Caroline Eden webt unzählige Geschichten rund um das leibliche Wohl in ihren filgranen Erzählteppich ein. Zwischen Bosporus-Blues und Borschtsch-Rebellion findet sie länderübergreifende Gemeinsamkeiten. Sie belegen eine jahrhundertelange Migration.


Die Schwarzmeerküste ist voller Ethnien und voller Menschen, die selbst oder deren Vorfahren nicht mehr leben, wo sie geboren wurden. Ein verbindendes Element zwischen ihnen allen findet sich in der Schwarzmeerküche: Hamsi. Die fritierten Sardellen stehen allerorten oben auf dem Speiseplan. Sie sind das Fastfood der Region.

Amphoren stehen für die Jahrtausende Jahre alte Weintradition in Georgien © Felicitas Wlodyga


Gerüche, Geräusche und Gastfreundschaft

Bereits die Namen der eingestreuten Rezepte sorgen für Erzählstoff: Tante Emma Pilaw, Rollwagen Kebap, Schwarzmeer-Börek. Zwischen den Zeilen der überwiegend vegetarischen Rezepte schwingen Gerüche, Geräusche und die „einzigartige“ Gastfreundschaft mit. Als großer Fan südosteuropäischer Vorspeisen lasse ich mich – über Zutaten wie Tee, Honig, Oliven und gefüllten Weinblättern – von der Autorin gern über Meze und ihre Traditionen aufklären. Spannend zu lesen, wer von Rang und Namen als Reisepionier am Schwarzen Meer unterwegs war. Davon zeugt Mark Twains Odessa-Eiscreme ebenso wie Nikolai Gogols marinierte Pilze.


Schwarzes Meer: Zufälle als Reisemotor für Caroline Eden

Als besonderen Trumpf spielt Eden das „Unvorhersehbare“ aus. Ihr Reiseduktus ist von Zufällen geprägt. Ihr Bauchgefühl steuert sie. Zur Belohnung winken Begegnungen mit Menschen wie Elena, „der letzten Fischerin Bulgariens“ oder dem Löffelschnitzer Viorel im rumänischen Constanta. Sie geben für Caroline Eden – mehr als alles andere – den „Geist des Meeres“ wider. Und umgekehrt wird das Meer zur „Bühne“, auf der die Menschen ihre Lebensgeschichten verwirklichen“.


Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Georgien, Russland: 6 Länder und 6 mal Geschichte, (Ess)-Kultur, Literatur

Schwarz-blaues Cover: Schwarzes Meer. Ein Reise- und Kochbuch von Caroline Eden
Cover: Schwarzes Meer von Caroline Eden

Hält man zwischen all den sinnlichen Eindrücken und „bunten Speisekammern“ einmal inne, ist ein bulgarisches Sprichwort willkommen: „Der Himmel mit den Sternen ist eine dunkle Schale voll Weizen“.


Fazit: Caroline Eden hat sich einer Herkulesaufgabe gestellt, die sie mit Bravour meistert. Ihr beeindruckendes Wissen breitet die Meisterin der Recherche mit Herz und Verstand aus – ohne sich im Schmelztiegel gegenwärtiger wie vergangener Kulturen aus Orient und Okzident zu verzetteln: „Man könnte ein Leben lang Odessas Vergangenheit erforschen, doch für mich war es Zeit weiterzureisen.” Wehmut erfasst mich bei diesem Satz.



Über die Autorin

Auf ihrer Website stellt sich Caroline Eden als vielseitige Autorin und Journalistin vor. Ihr erstes Kochbuch „Red Sands. Reportage and Recipes Through Central Asia, from Hinterland to Heartland” ist in englischer Sprache erhältlich und wurde mit dem André Simon Food Book Award 2020 ausgezeichnet. Auch für „Schwarzes Meer” wurde sie ausgezeichnet.


Tiefer eintauchen

Empfohlen sei der vorzügliche Anhang zu Edens Quellen für „Schwarzes Meer. Eine wahre Fundgrube! Leseanregungen in Hülle und Fülle aus einer langen Reihe von englisch- und deutschsprachigen Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Webseiten und Magazinen. Sie alle gehen auf Themen rund um das Schwarze Meer ein (insgesamt 7 Seiten).


Blick durch die Küchentür auf eine Köchin in einem Restaurant in Tiflis
Blick in die Küche eines Restaurants in Tiflis © Felicitas Wlodyga

Auf drei weiteren Seiten gibt die Autorin wertvolle weiterführende Literatur-Tipps. Sie sind nach den Schwerpunkten des Buches geordnet: Schwarzes Meer, Odessa, Rumänien, Bulgarien, Türkei. Darunter finden sich viele Reise- und Kochbücher.


Apropos Türkei: Ganz besonders empfiehlt die Expertin das Cornucopia Magazine: „Jeder Artikel ist eine absolute Freude …“, um das Land besser kennen zu lernen.


Und hier fünf Titel (und ein Podcast-Tipp) aus Edens opulentem Schwarzmeer-Bücherfundus (teils nur noch antiquarisch erwerbbar):


  1. Bei Neal Ascherson und Charles King, Schriftsteller und Historiker, hat Eden die meisten Anknüpfungspunkte für ihr eigenes Werk gefunden: Neal Ascherson: Schwarzes Meer, Suhrkamp Verlag, 1998 (Caroline Eden: “berührend, tadellos recherchiert und überwältigend umfangreich”);

  2. Charles King: The Black Sea: A History, Oxford University Press, 2005 (Edens ”absolutes must read”) und ders. Odessa, W.W. Norton Company, 2011; CE: brillantes Geschichtsbuch, mit einer solchen Leichtigkeit geschrieben, dass es sich liest wie ein Roman”.

  3. Kapka Kassabova: Die letzte Grenze: Am Rande Europas, in der Mitte der Welt, Paul Zsolnay, 2018; CE: „lyrischer Blick“(CE) auf die Grenzgebiete zwischen Bulgarien, Griechenland und der Türkei.

  4. Isaak Babel: Geschichten aus Odessa, dtv, 1987

  5. Tim Whewell: The Compass on the Black Sea, BBC World Service, auch als Podcast (laut Roden ebenfalls brilliant”)






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