smac: Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz. 1930 stellt der Architekt Erich Mendelsohn 1930 das Haus als Kaufhaus Schocken ins Chemnitzer Zentrum. Heute steht das smac für 280.000 Jahre Sächsische Landesgeschichte. Und für ein Stück Architektur- und Zeitgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine hervorragende Ausstellung erzählt, was Erich Mendelsohn (1887-1953) zu einem Wegbereiter moderner Architektur macht. Mit Hoteltipp!

Erkerausstellung nennen die für den gesamten Innenausbau des SMAC verantwortlichen Gestalter vom Stuttgarter Atelier Brückner die drei jeweils auf einer Etage angelegten Ausstellungsteile, die die zentrale hier vernachlässigte Archäologie-Präsentation umschließen. Gewürdigt wird der Schöpfer im Baukörper seiner prägnanten Architektur: Erich Mendelsohn. Zusätzlich zu seinem Leben und Werk geht es um die Geschichte des Kaufhauses Schocken. Und im dritten Part tritt die Lebensgeschichte des überaus gebildeten Kaufhausgründers Salman Schocken, der sein Wissen autodidaktisch erlangte, zu Tage. Beide Männer, Mendelsohn und Schocken, verbinden mehrere Bauwerke als Architekt und Bauherr: zwei weitere große Schocken-Kaufhäuser in Stuttgart und Nürnberg, Salman Schockens Berliner Privatvilla und eine Villa und Bibliothek in Jerusalem.
Architektur krönt Archäologie im smac
Buchstäblich hinter den Fenstern des Chemnitzer Schocken-Hauses lerne ich viel.
Geleitet von der Konzeption vom Atelier Brückner, das weltweit in der Museums- und Ausstellungsgestaltung agiert, bin ich zunehmend fasziniert vom jüdischen Intellektuellen Erich Mendelsohn und seiner Baukunst. Und von der Liebesgeschichte, die sein Leben umrankt. Hinter den Fenstern: Das klingt viel zu banal. Diese Fenster schließen sich – damals spektakulär – zu einer bogenförmigen Front aus horizontalen Glasbändern zusammen.

Portrait Erich Mendelsohn, vor 1925 © Wikipedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erich_Mendelsohn_cropped.jpg
Die bogenförmige Front am smac, ehemals Kaufhaus Schocken © Felicitas Wlodyga
Der Blick von außen zeigt: Plastische Gruppierungen von Baumassen bewältigt Mendelsohn meisterhaft wie keiner zuvor. Um sie weit ausschwingen zu lassen, muss er sie runden. Stromlinienförmige Architektur wird zum Markenzeichen Erich Mendelsohns. Keine leichte Bauaufgabe, zumal angesichts der jeweiligen funktionalen Aufgaben.
„Es heißt, Schönberg habe die Musik und die Art des Musikhörens verändert. Das Gleiche kann man über die Architektur und Mendelsohn sagen." Bruno Zevi, Architekturhistoriker und -kritiker
Er findet zu einer eigenen expressionistischen Formsprache moderner Architektur, die er über Jahrzehnte beibehält. Und als Architekturtheoretiker in zahlreichen Vorträgen und Texten vermittelt. Mendelsohns Dynamik und Bewegung des Baukörpers gibt es auch an der heutigen Berliner Schaubühne (erbaut 1928-32) zu bestaunen. Über das einstige „Universum", den „schönsten Kinobau, den Berlin je besessen hatte“ (so der Architekturkritiker Julius Posener), schreibt eine Zeitung nach der Eröffnung 1928: „Das ganze Haus ist Schwung, Rhythmus, Schwingung“.
Schwung, Rhythmus, Schwingung, sie wohnen Mendelsohns Bauten inne. Seine expressionistische Formensprache zeigt sich noch heute im Berliner Stadtbild, das trotz vieler Kriegszerstörungen glücklicherweise markante Zeugnisse seiner Baukunst bewahren konnte. Mit zukunftsweisenden Bauten macht Erich Mendelsohn das Berlin der 1920er-Jahre zu einem Experimentierfeld des Neuen Bauens. Dazu gehören:
das Haus der Metallarbeiter und heutige IG Metall-Haus (1945 total abgebrannt und nach 1989 am Rande Kreuzbergs aufwendig nach alten Bauplänen wiederaufgebaut)
Wohnhäuser im Berliner Westen und Süden
das Verlagshaus Mosse in Berlin-Mitte
den Wohn- und Geschäftskomplex (WOGA), heute Domizil der Schaubühne am Kurfürstendamm

„Erich Mendelsohns Architektur war ein absoluter Protest, ein Aufstand gegen jedwede dogmatische Form (…) Er verstand als Erster die immanenten Vorzüge von Beton.“ Aldo Giurgola, Architekt
Kulturhauptstadtjahr 2025 betont Nahaufnahme von Erich Mendelsohn im Chemnitzer smac
Mit den vielen Facetten seiner Persönlichkeit ist der Architekt Erich Mendelsohn ein hervorragender Pate für das Kulturhauptstadtjahr 2025 im Chemnitzer smac, so wie es etwa der Bildhauer Constantin Brancusi (bekannt für seine wegweisende moderne Auffassung von Skulptur) für die rumänische Kulturhauptstadt Europas 2023 Timisoara war. Zurück nach Chemnitz: 17 Modelle von Mendelsohns prominentesten Bauten tragen die Ausstellung. Sie vollziehen nach, was ihn zu einer Schlüsselfigur der architektonischen Moderne kürt.
Verquickt ist diese künstlerische Entwicklung mit Ereignissen seiner deutsch-jüdischen Biografie und den Folgen seiner Emigration nach London 1933. Bereits 1910 lernt Erich Mendelsohn die 16-jährige Luise Maas kennen, die er 1915 heiratet. Ihre Liebe und sich stetig intensivierende Verbindung verleihen der Präsentation menschliche Nähe. Ausdruck findet sie in der die Trennungen des Paares überbrückenden Korrespondenz, in Auszügen zitiert.

Aus diesen drei Polen – künstlerische Entwicklung, deutsch-jüdische Biografie, Lebensgemeinschaft mit Luise – zieht die Mendelsohn-Ausstellung ihre dramaturgische Spannung. Gestalterisch sehr gut in Szene gesetzt, stellen unterschiedliche Elemente dazwischenwechselseitige Bezüge her:
17 Architekturmodelle, die Mendelsohns Bautätigkeit in Deutschland und nach dem Krieg in Großbritannien, Jerusalem und in den USA belegen, darunter das 1960 abgerissene Kaufhaus Schocken in Stuttgart (1926–28), das Kino Universum /heute Schaubühne Berlin (1927–29), der De La Warr Pavilion in Bexhill-on-Sea/ GB (1935), die Anglo-Palestine Bank in Jerusalem/ im Britischen Mandatsgebiet Palästina ISR (1937–39) sowie die Parksynagoge in Cleveland/Ohio/USA (1949–53).
Schautafeln mit Erläuterungen zur biografischen, historischen oder kulturellen Einordnung, vorgestellt werden neben Mendelsohn bedeutende Architekten seiner Generation, wie Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Wright, Schöpfer des berühmten Guggenheim-Museums in New York, ein großes Vorbild für Mendelsohn.
Schubfächer (die Zeichnungen und Pläne des Baumeisters beherbergen); aus einigen erklingt beim Öffnen Musik von Johann Sebastian Bach. Eine Reminiszenz daran, dass Mendelsohn gern nachts arbeitet. Seine Liebe zur Musik teilt er mit Luise, einer ausgebildeten Cellistin.
„Er mochte Frieden und Ruhe – daher arbeitete er am liebsten nachts. (…) Er zog sich in seine Kammer zurück, legte Bach auf und fing an zu arbeiten.“ Luise Mendelsohn
Stationen mit originalen Film- und Tondokumenten, wie etwa eine Art Schlusswort zur Mendelsohn-Ausstellung. Es gebührt Luise Mendelsohn, die in einem Filmbeitrag aus den 1960er Jahren ein ausführliches Interview gibt.

Alle Anschauungsmaterialien sind in der der Fensterfront gegenüberliegenden Wand eingelassen. Diese sehr ästhetische Lösung schafft Ruhe im flurartigen Ausstellungsraum und unterstützt die Möglichkeit, sich tiefer auf das jeweilige Objekt einzulassen.

Zwei mir bekannte Bauten Erich Mendelsohns ziehen vorüber. Unter Kunsthistorikern gelten sie als Ikonen: der Einstein-Turm in Potsdam (Bauzeit 1920–24), Erich Mendelsohns erstes realisiertes Bauwerk.

Und die ehemalige Hutfabrik Herrmann in Luckenwalde (1920–23), südlich von Berlin. Sie hat mich mit ihrer äußeren Form eines Hutes bereits im Original in Bann gezogen. Auch das weitläufige Gebäudeinnere hält mit: Der Stahlbetonkonstruktion verleiht der Architekt eine ausgeklügelte innovative Ventilation, die auch die Giftstoffe aus der Hutfärberei ableiten kann.

Die ehemalige Hutfabrik Herrmann beeindruckt innen wie außen © Felicitas Wlodyga
„Bauen ist Glückseligkeit“, sagt Erich Mendelsohn einmal. Über die Grenzen Deutschlands hinaus kann er, obwohl durch Krieg und Emigration immer wieder zurückgeworfen, ein international gefeierter Architekt mit Projekten in der Sowjetunion, Norwegen, Spanien, England, Palästina und in den USA werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg pendelt er zwischen London und Jerusalem. Deutschland umfährt er konsequent. 1953 stirbt er an Krebs.
Seine Ehefrau Luise, die seine Entwürfe stets als erste sieht und ihn in der Akquise neuer Architekturprojekte unterstützt, überlebt ihn bis 1980. Zeit ihres Lebens setzt sie sich vehement für ihren Mann, sein großartiges Werk und die Erinnerung an ihn ein.

Hoteltipp und ein besonderes Kunstmuseum
Für Deinen Besuch in der Kulturhauptstadt Europas 2025 empfehle ich Dir, im Hotel Chemnitzer Hof zu übernachten. Chemnitz bietet kulturell sehr viel. Besonders ans Herz legen möchte ich Dir das Museum Gunzenhauser mit Fokus auf die Kunst der Jahrhundertwende um 1900, den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit sowie die Abstraktion im 20. Jahrhundert. Mit 380 Werken von Otto Dix verfügt das Museum Gunzenhauser über eines der weltweit größten Konvolute des Malers. Ebenso bewahrt das Museum – neben dem Museum Wiesbaden (bereits vorgestellt auf azurgold) – eine der größten Sammlungen des Expressionisten Alexej von Jawlensky.
Tiefer eintauchen:
Stefan-Heym-Platz 1
DE - 09111 Chemnitz
Telefon: +49 [0]371. 911 999 0
Mail: info@smac.sachsen.de
Öffnungszeiten
Di - So 10:00 - 18:00 Uhr, Do 10:00 - 20:00 Uhr
Flug durch die Ausstellung zur Archäologie in Sachsen
Wie wäre es mit einem Drohnenflug durch die Ausstellungen zu Erich Mendelsohn und zur Geschichte des Kaufhaus Schocken oder durch die Sächsische Landesgeschichte von ihrer eiszeitlich geprägten Naturlandschaft, der Welt der Jäger und Sammler über sesshafte Kulturen bis zur modernen Kulturlandschaft? Schau mal rein, es lohnt sich! Auch ein virtueller 3D-Rundgang durch das smac ist möglich. Doch am besten: hinfahren!
Eine ausführliche Biografie Erich Mendelsohns findet sich im digitalen Archiv des Deutschen Historischen Museums Berlin. Informationen zur Person von Luise Mendelsohn gibt es auf der Website des Einsteinturms.
Der Briefwechsel von Erich und Luise Mendelsohn von 1910-1953 ist in digitalisierter Form komplett im EMA – Erich Mendelsohn Archiv der Staatlichen Museen Berlin nachlesbar. Das Buch „Luise und Erich Mendelsohn. Eine Partnerschaft für die Kunst" ist mit etwas Glück antiquarisch noch zu erwerben.
Ebenfalls nur antiquarisch erhältlich: Ita Heinze-Greenberg: Erich Mendelsohn. „Bauen ist Glückseligkeit“. Berlin: Hentrich & Hentrich 2011 oder der Architekturführer von Regina Stephan (Hg.): Erich Mendelsohns Bauten heute. Architekturführer zu seinen Bauten in Deutschland, Polen, Russland, Norwegen, Großbritannien, Israel und in den Vereinigten Staaten von Amerika, veröffenlicht von der Akademie der Künste, Berlin, wo weitere Literaturtipps zu Erich Mendelsohn zu finden sind.
Zwei Quellen im Netz, um Erich Mendelsohns Baukunst über zwei seiner Berliner Bauten näherzukommen: das IG Metall Haus und das Mosse Haus.
Erich Mendelsohn war ein begnadeter Zeichner. Er zeichnete etwa Naturformen ab, um sie auf Bauzeichnungen zu übertragen. Bekannt sind seine Skizzen von Dünen, die zum Beispiel in den Bau der Hutfabrik in Luckenwalde einfließen. Er hinterließ rund 1.700 Blatt Handskizzen. Einen Eindruck vermitteln ausgesuchte Abbildungen.
Comments