Die Meeresbiologin Frauke Bagusche macht für das Meer mobil, in der Provinz und weltweit. Vom Glück, Kinder als Verbündete zu gewinnen, sich vom vielen Wissen über das Wohl und Wehe der Ozeane beflügeln zu lassen – und einem überraschenden Reiseziel. Eine Begegnung in guter Laune mit einer Frau mit Talent zur Hoffnung.
Irgendwo im Saarland. Schauplatz Schule. Die Meeresbiologin Frauke Bagusche ist mit ihrem Verein „The Blue Mind“ zu Gast. Sie spricht über das Klima und aufgeheizte Ozeane, über Fische und Meeresschildkröten. Fünf- bis Zehnjährige saugen das Gehörte wie Schwämme auf. Erfahren, dass Fische Plastik oft mit Futter verwechseln. Den globalen Übeltäter Mikroplastik finden sie selbst vor Ort, im heimischen Gewässer, wenn Bagusche mit ihnen fischen geht.
Ein kleiner Junge will nicht mehr duschen
Bei den Jüngsten der Gesellschaft hinterlässt das Eindruck. „Ich habe hier ganz viel Meeresbiologen-Nachwuchs vor mir,“ sagt Frauke Bagusche anerkennend. Gerade aufgeschnappt, setzen die Kinder kleine Schritte um: für die große Sache, für gesunde Ozeane. Sofort und rigoros, im Alltag wie im Urlaub. Da ist der kleine Junge, der nicht mehr duschen will, weil er das Mikroplastik im Duschgel ablehnt.
Die Kinder geben Bagusche Hoffnung. Und Kraft, sich zu engagieren – zuversichtlich zu bleiben! Die Schlüsselmomente zählen! Auch für die Meeresbiologin, die bereits als Kind in der vierten Klasse weiß, dass sie genau das werden will:
„Das Meer ist kein Beruf, das ist eine Berufung.“
Ihr wachsen fast Schwimmhäute
Die heute 45jährige arbeitet als Research-Fellow in Wien, Paris und Southhampton. Internationale Berufserfahrungen sammelt sie auch in Ägypten oder auf den Malediven. Mit Hingabe forscht sie, schnorchelt, taucht hinunter in das Blau, das mit der Tiefe immer dunkler wird. „Mir sind fast Schwimmhäute gewachsen,“ erzählt sie lachend. So viele Stunden ist sie mit dem Wasser verbunden, ob sie eine meeresbiologische Station leitet oder als professionelle Tauchsportlerin arbeitet.
Über 10.000 Kilometer dem Plastik auf der Spur
2015 begleitet Frauke Bagusche als Wissenschaftlerin ein Team aus professionellen Wassersportlern und Umweltschützern. Um aus nächster Nähe zu zeigen, wie viel Plastik im Ozean schwimmt, segelt sie fast 10.000 Kilometer von der Karibik über den Atlantik bis nach Marseille, keine ungefährliche Route.
Doch nun wirkt die Vielgereiste von Saarbrücken aus. Kein Meer weit und breit. „Die Zeit der Forschungsreisen ist wahrscheinlich vorbei!“ Ja, sicher sei das manchmal hart. Sagt eine, die sich „nirgends so glücklich, geborgen und ruhig“ fühlt wie im Meer, auf dem Meer, am Meer – in der Nähe des blauen Wunders, diesen Titel trägt ihr erstes Buch. Doch wann immer sie kann, reist Frauke Bagusche zu den Ozeanen dieser Welt, etwa, um für ihre Bücher zu recherchieren. Und genießt es, durch ihre Forschungsjahre bestens vernetzt, weltweit Freunde besuchen zu können.
Wir plastifizieren uns von innen heraus
Selbst im Bergischen Land aufgewachsen, geht Bagusche, ob in Vorträgen oder auf Tour mit „The Blue Mind“, gezielt auf Binnenbewohner:innen zu. Die nicht die enge Beziehung zum Meer haben können wie die Anrainer. Die nicht wissen, dass auch sie tagtäglich, etwa durch den Abrieb der Autoreifen – in erheblichem Ausmaß – Mikroplastik einatmen: „Wir plastifizieren uns von innen heraus.“ Frauke Bagusches Wege zum aktiven Meeresschutz führen stets über ihr Credo: positiv bleiben!
Warum das Meer leuchtet und Fische singen
Denn Bagusche weiß, es reicht nicht, die Vernunft auf ihrer Seite zu haben. Menschen wollen nicht in Endlosschleifen hören, wie Arten aussterben und das Klima kollabiert. Verstehen möchten sie das schon. Am zugänglichsten machen sie positive Erzählungen. Etwa so, wie es der Untertitel von „Das blaue Wunder“ verheißt: „Warum das Meer leuchtet, Fische singen und unsere Beziehung zum Meer so besonders ist“. Dafür schreibt die Meereskennerin Bücher.
Aber warum Saarbrücken? „Direkt vor der Haustür kann ich viel mehr bewegen als in der Forschung – und prima Meeresschutz betreiben,“ erklärt sie tief überzeugt. Weniger Einwegplastik, weniger Mikroplastik in Kosmetika, den CO2-Fußabtritt verringern: Das ist prima Meeresschutz und der „beginnt im Inland“!
Um Menschen dafür zu sensibilisieren, nimmt Bagusche Entwicklungen unter die Lupe, die abgeschnürt werden, Neuem weichen müssen, in Sackgassen münden. Oft mit der Konsequenz, dass der Artenreichtum sukzessive abgebaut wird: Wenn Korallenriffe absterben, verlieren Meeresschildkröten Teile ihrer Fressgründe, ihre Lebensgrundlage.
Meeresschildkröten: die Nomaden der Ozeane
Den Meeresschildkröten widmet sie ihr zweites Buch „Die Nomaden der Ozeane“. „Charismatisch und wunderschön“ findet sie die Tiere, von denen es sieben Arten gibt. Noch. Sie alle sind stark gefährdet, weil ihr Fleisch manchen als Delikatesse gilt oder sie illegalem Handel zum Opfer fallen. Schönes und Trauriges, auch hier so eng beieinander! Beides zusammenzubringen, eröffnet den schmalen Pfad, an eine neue Welt zu glauben, ein Stück näher an die Komplexität des Lebens und an uns selbst heranzurücken. Von hier aus agiert Frauke Bagusche.
Das Meer: ihre große Liebe
Im Gespräch beeindruckt immer wieder, wie positiv sie sich ihren Themen zuwendet. Das Meer ist ihre „große Liebe“, ihr Lebensthema, dem sie sich ganz verschrieben hat. Die Ingredenzien: Kenntnisreichtum, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, ihr eigenes Erleben und ihre Begeisterung. Sie freut sich über jeden, den sie erreichen kann!
Wenn sie in ihrer sympathischen und positiven Art von den Meeresschildkröten erzählt, auf deren starkem Rücken so viel ausgetragen wird, von deren Ruhe und Gelassenheit, darüber, wie präsent die seit 120 Millionen Jahren existierenden Tiere in Mythologien auf der ganzen Welt sind, wie weit sie schwimmen und wandern können, gerät sie ins Schwärmen. Die Meeresschildkröte ist Bagusche zur Weggefährtin und Verbündeten geworden. Sie unterstützt sie, ihrem Publikum die Welt vom Meer aus verständlich zu machen.
Während Menschen sich mit Kompass und Satellitendaten durch die Welt navigieren, orientieren Meeresschildkröten sich am geomagnetischen Mustergeflecht, das jeden Punkt unserer Erde festlegt. Bereits bei ihrer Geburt schreiben die Jungtiere die magnetische Signatur ihres Herkunftsortes fest – und finden auch Jahrzehnte später über Tausende von Kilometern zu ihrer Geburtsstätte zurück.
Freundschaft mit einer Schildkröte namens Loabi
Wie viele Hunderte von Kilometern Bagusche selbst wohl schon unter Wasser oder auf Recherchereisen zurückgelegt haben mag? Unzähligen Meeresschildkröten ist sie jedenfalls begegnet. Eine davon, eine Echte Karettschildkröte, lernt sie vor der Insel Kuramathi kennen. Sie kommt wieder und wieder. Loabi nennen sie sie bald – in der Sprache der Malediven, auf Dhivehi, bedeutet das „Liebe“.
Anderen Meeresschildkröten schwimmt Frauke Bagusche hinterher – aus Fürsorge. Tiere, die sich in Fischernetzen verfangen haben. Achtlos von Fischern sich selbst überlassen, versorgt das Forscherteam die Tiere medizinisch, amputiert zum Beispiel eine Flosse. Danach schaut Bagusche, ob sie die bis zu mehrere hundert Kilo schweren Meeresbewohnerinnen wieder in ihren natürlichen Lebensraum entlassen kann. Der ist bedroht, durch aufgeheizte und verschmutzte Meere. Darauf aufmerksam zu machen ist ihr Anliegen in ihrem Buch „Die Nomaden der Ozeane“.
Frauke Bagusche entlässt eine gerettete Oliv-Bastardschildkröte wieder ins Meer. Ebenfalls gefährdet: die Echte Karettschildkröte © Frauke Bagusche
Menschen beschützen nur das, was sie lieben
Nach ihrer Mission befragt, zitiert sie den senegalesischen Umweltschützer Baba Dioum: „Wir Menschen beschützen nur das, was wir lieben. Wir lieben nur das, was wir verstehen und wir verstehen nur das, was uns gelehrt wird.“ Ihre eigene Lehre hat sie gezogen, ihren „eigenen Auftrag“ gefunden, gemeinsam mit zwei anderen Meeresbiologinnen, in „The Blue Mind“, unterstützt von den Umweltministerien im Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen.
Saudi-Arabien oder die Kunst, mit Widersprüchen zu leben
Doch Bagusche missioniert nicht. Sie beherrscht die Kunst, Gegensätze in sich und für die Sache zu vereinen und zu einem produktiven für andere zugänglichen Ganzen zu machen. Ein Paradebeispiel ist Saudi-Arabien. Hier zeigt sich, wie sie Widersprüchen begegnet. Ihr Lebenspartner lebt aktuell hier. Auch wenn sie aushalten muss, dass sie in dem Golfstaat überall Plastik anspringt: Frauke Bagusche hat „viele Vorurteile dort gelassen“.
Das arabische Land mit seinen „unfassbar freundlichen Menschen“ und der „tollen mauretanischen Architektur“ ist für sie „sehr, sehr faszinierend“. Und weiter bereisen möchte sie es. Sie empfiehlt die atemberaubende Unterwasserwelt, den ganz eigenen Takt des Roten Meeres und seiner Bewohner, die Geräusche der Tiere in ihrem Zuhause, schnorchelnd zu entdecken. Aber auch die Altstadt von Jeddah oder Taif in den Bergen, unweit von Mekka. Da ist sie wieder, die unerschütterliche positive Art, mit der Bagusche sich neue Welten erschließt.
Wie hält sie die vielen Gegensätze aus?
Wie bewältigt sie diesen stetigen Balanceakt? Wie hält sie die vielen Gegensätze aus, die sie magisch anzuziehen scheinen? Mit einer Menge Courage jedenfalls. Und viel Feingefühl für die Nuancierungen, die jede Fragestellung und jede mögliche Antwort in sich birgt, fern von Polemik und Ideologie. Das geht nur mit Leidenschaft. Sie weiß, wie viel noch zu tun ist. Sich davon beirren zu lassen – das wäre nicht sie.
Buchempfehlungen
In einem You Tube-Video stellt Frauke Bagusche ihr Buch „Die Nomaden der Ozeane“ vor.
Frauke Bagusches erstes Buch „Das Blaue Wunder“ stand neun Wochen lang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde in vier Sprachen übersetzt, darunter als „The Blue Wonder" auf englisch, und für mehrere Preise nominiert.
Eine Rezension zu Frauke Bagusches Buch „Das blaue Wunder" findest Du auf azurgold: Das blaue Wunder oder: Die Gesundung der Meere.
Über die Autorin
Über ihre gemeinsame Arbeit mit zwei weiteren Meeresbiologinnen im Zuge ihres Vereins „The Blue Mind" bringt Frauke Bagusche in Vorträgen, Kita- und Schulbesuchen sowie Workshops hochwertige Bildung zum Schutz der Ozeane zu den Menschen.
Wissenswertes
Kompakt informiert Greenpeace über eine Studie zum Beifang von Meeresschildkröten, den gewichtigsten Faktor für die Gefährdung der Tiere.
Informationen über Meeresschildkröten, ihre Arten, ihre Lebensräume, ihre Bedrohung und die Möglichkeit für ihr Wohl zu spenden gibt es beim World Wide Fund For Nature (WWF).
Zur Unterstützung von Meeresschildkröten empfiehlt Frauke Bagusche die Turtle Foundation. Hier kannst Du eine Patenschaft für eine Meeresschildkröte übernehmen.
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